schlief ein. Aber immer von neuem riß man sie aus dem Schlaf. Das ist eine beliebte Methode der NKWD , die sogenannten Kettenverhöre.

Während der ganzen Nacht brannte das Licht. Ich saß auf einem Schemel, gegen die Wand gelehnt, denn wir hatten nur zwei Pritschen. Auf der einen schlief friedlich atmend die alte Sozialrevolutionärin.

Oben durch die Spalte zwischen Fensterkasten und Mauer sah man schon Tageslicht, als das Mädchen im neuen Kleid wieder zurückgebracht wurde. Sie saẞ gekrümmt auf einem Schemel und erzählte schluchzend: ,, Meinen Freund haben sie auch verhaftet. Er ist Student. Welch ein Wahnsinn, er soll ein Attentat vorbereitet haben, ein Attentat auf Stalin , und ich soll es gewußt haben, sagen sie. O, mein Gott! O, mein Gott!" Ihr Gesicht war vom Weinen verschwollen und ganz verschmiert. An die zerwühlten Haare und das zerdrückte, neue gelbe Kleid dachte sie nicht mehr. Die Alte redete ihr freundlich, mütterlich zu, aber da war aller Trost vergebens.

Ich saß auf dem Bettrand der alten Sozialrevolutionärin und mußte ihr vom Ausland erzählen, von Deutschland , von allem, was sich in den letzten Jahren ereignet hatte, von unserem Leben in Moskau . Ihre Art zu fragen war so liebenswürdig und bezwingend, daß ich fast die Lubjanka vergaß. Zwei Tage nur teilten wir dieselbe Zelle, und ich lernte diese prachtvolle Frau lieben und bewundern. Sie machte mir das schönste Kompliment meines Lebens, als sie mir lächelnd auf die Schulter klopfte und meinte: ,, Du bist auch eine, die in Sibirien nicht umkommen wird!"

Sie ging schon am zweiten Tag zum Verhör, und als sie zurückkam, berichtete sie schmunzelnd ihr Erlebnis beim Untersuchungsrichter: ,, Als ich reinkomme, sitzt da so ein junges Bürschchen von 24 Jahren. Ich frage ihn:, Batuschka, ältere als dich gibt's wohl hier schon nicht mehr?" Da hat er mich zurückgewiesen:, Setzen Sie sich, Bürgerin!" Und dann hat er mir vorgelesen:, Anna Pawlowna... wird beschuldigt der Vor­bereitung des Terrors... Ich aber habe ihm gesagt: Nein, Batuschka, du irrst dich. Ihr bereitet den Terror vor, aber wir werden schießen! Das aber war ihm gar nicht recht, und er schickte mich gleich zurück in die Zelle."

Am dritten Nachmittag schon mußte ich Abschied nehmen von meinen ersten Zellengenossen. Ohne verhört worden zu sein, holte man mich aus der Zelle, und wieder ging es durch die blankgeputzten, mit Fliesen belegten Gänge der Lubjanka. Der Geruch nach Desinfektion und Entlausung, diese ganze ,, Korrektheit", diese vorschriftsmäßig ge­putzte Vernichtungsmaschinerie, erfüllte mich mit lähmender Angst. Be­vor ich noch recht zu mir kam, stand ich auf einem Hof vor einem ge­öffneten Gefangenenwagen und neben diesem war ein ebensolch großer ,, Schwarzer Rabe"( so heißt in Rußland unsere ,, Grüne Minna"), aber

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