haftet worden sei. Sie studierte Medizin. Zwei Männer hätten sie aufgefordert, in ein Auto zu steigen, und hier in dieser Zelle sei sie nun gelandet. Sie hatte angeblich keine Ahnung, welches der Grund ihrer Verhaftung sei.
Auch in dieser Zelle klapperte alle paar Minuten der ,, Spion". Dieses Guckloch hatte, um den Schrecken zu erhöhen, die Form eines großen menschlichen Auges, so daß man sich immer angestarrt fühlte. Wir beiden Zugänge hatten aber noch wenig Ahnung von dem Gefängnisregime in der Lubjanka. Dort bekam ich das erste Mal aus einem Blechnapf zu essen. Es war eine braune, runde Hundeschüssel und darin eine dünne Linsensuppe, die nicht schlecht roch, aber es wollte und wollte nicht rutschen. Und dazu gab es einen Kanten russisches Schwarzbrot, die Tagesration. Ein Brot, das ich sonst sehr gern aß, aber die Lubjanka hatte mir die Lust dazu genommen.
Es scharrte an unserer Tür, die Klappe wurde geöffnet und meine Zellenkameradin militärisch aufgefordert, sich ohne Sachen fertigzumachen". Sie strich ihr Kleid glatt, fuhr mit der Hand über die Haare und ging mit einem Lächeln hinaus. Es mochten nicht mehr als zwei Stunden vergangen sein, da kehrte das Mädchen zurück. Sie wagte nicht zu sprechen, starrte nur angstvoll auf den Spion". Es war nicht möglich, auch nur ein Wort aus ihr herauszukriegen.
Wieder wurde die Tür aufgeschlossen. Eine Neue, eine ungefähr siebzigjährige Frau in bäuerlicher Kleidung mit einem kleinen Bündel. Aufatmend setzte sie sich nieder und blickte sich mit einem zufriedenen Kopfnicken in der Zelle um: ,, Gott sei Dank, daß ich noch einmal in meinem Leben nach Moskau kommen durfte. Die ganze Zeit habe ich es mir gewünscht. Wie gut es hier ist. Man hat Licht und Wärme, das Essen wird einem hereingebracht, und so sauber ist es hier. Man braucht sich gar keine Sorgen mehr zu machen." Und dann erzählte sie, daß sie als Sozialrevolutionärin vor Jahren schon in ,, freie Verbannung" nach Sibirien verschickt worden war. Dort hatte sie einsam in einer ,, Semljanka"( Erdhütte) gelebt. Wenn die Bauern nicht barmherzig gewesen wären und mir Essen gebracht hätten, hätte ich verhungern müssen. Ach, und die Einsamkeit. Meine einzige Gesellschaft war eine Katze. Und die Sorgen mit dem Holz und der lange, lange Winter. Immer habe ich davon geträumt, noch einmal nach Moskau zu kommen. Jetzt ist man wieder unter Menschen. Wie glücklich ich bin!" Als ich ihr noch so staunend zuhörte, schallte es schon wieder durch die Klappe: ,, Fertigmachen ohne Sachen!" Das junge Mädchen wurde ein zweites Mal zum Verhör geholt. Und so ging es die ganze Nacht hindurch, nach einer Stunde oder nach zwei Stunden kehrte sie für zehn Minuten in die Zelle zurück. Sie sprach nicht, warf sich sofort auf die Pritsche und
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