zwanzig gutangezogene Frauen im Vorzimmer, und unter den Wartenden herrschte ein fast familiärer Ton. Das waren meist Frauen verhafteter hoher Parteifunktionäre und Offiziere. Die Auskunft erteilte ein Offizier der NKWD . Er war sehr höflich, sehr gut erzogen und ließ sich meine Angelegenheit genau auseinandersetzen. Dann mußte ich zurück in den Warteraum, bis er mich nach einer halben Stunde aufrief. Seine Haltung war sehr verändert, kühl teilte er mir mit: Über die Akten Neumann wird keinerlei Auskunft gegeben!"

Kurz danach kam mir das Gerücht zu Ohren, daß Heinz Neumann erschossen worden sei. Nein, ich glaubte es nicht, ohne Prozeß und ohne mir eine Mitteilung zu machen?!

Eines Nachmittags, im Januar 1938, klopfte es an unsere Tür. Her­ein kamen zwei NKWD - Beamte. Jetzt ist es soweit! Nein, auf dem ge­reichten Zettel stand nichts von Verhaftung. Konfiskation des Eigen­tums von Heinz Neumann ". Die Schränke wurden geöffnet. Die letzten Wäschestücke und einen Anzug, den ich aufgehoben hatte, falls er doch einmal heimkehren sollte, mußte ich hergeben, und dann sahen sie die Schreibmaschine. Ich begann um sie zu kämpfen, behauptete, daß sie mir gehöre, mein Arbeitsinstrument sei, aber nichts nützte. Sie nahmen mir die letzte Möglichkeit, Geld zu verdienen. ,, Konfiskation des Eigentums" bedeutete, daß der Verhaftete eine Strafe von mindestens zehn Jahren Zuchthaus erhalten oder zu erwarten hatte..

Und trotzdem stand ich weiter vor den Gefängnissen, in der Hoff­nung, ihn wiederzufinden. Solange ich wußte, daß er in irgendeiner Zelle der Lubjanka saß, hatten meine kummervollen Gedanken eine Richtung. Aber jetzt? Wieviele Frauen, die wie ich in den Schlangen vor den Ge­fängnissen standen, hatte ich nicht schon um Rat gefragt, wohin man sich wenden könnte, um etwas über den Verschwundenen zu erfahren. Aber sie waren ebenso ratlos.

Besonderes Aufsehen erregte das Gerücht über die Ende des Jahres 1937 erfolgte Verhaftung des Volkskommissars für Inneres, des Chefs der NKWD , Jeshow. Er hatte sich im Augenblick der Festnahme erschossen. Jeshow, der gegen Tausende von Menschen Haftbefehle er­lassen, der im Auftrage Stalins skrupellos gemordet hatte, war nun selbst an die Reihe gekommen. Was mochte der Grund zu seiner Ver­haftung gewesen sein? Hatte er etwas verbrochen? Wir fanden damals nur eine Erklärung: Stalin wollte mit Jeshows Sturz das russische Volk glauben machen, daß der Volkskommissar für Inneres seine Befugnisse überschritten habe, daß er der Schuldige für die Abertausende un­schuldig Verhafteter sei. Sein Tod sollte eine etwa ausbrechende Em­pörung unter dem Volke wieder glätten und die Menschen auf einen neuen, milderen Kurs hoffen lassen.

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