Ende September erhielt ich den schriftlichen Bescheid über meinen Ausschluß aus der Kommunistischen Partei Deutschlands . Gründe waren nicht angegeben. Einige Tage später forderte die Verwaltung des Hotels ,, Lux" ungefähr zehn Frauen auf, binnen drei Tagen ihre Zimmer zu räumen, da sie ,, in keinem Angestelltenverhältnis zur Komintern " ständen. Und als wir auf den Räumungsbefehl nicht reagierten, verklagte uns die Hotelverwaltung beim Gericht.
Das Verhandlungszimmer beim Schöffengericht war voller Menschen. Außer uns zehn standen noch viele Alimentenklagen auf der Tagesordnung. Auf der einen Seite saßen die Mütter mit den umstrittenen Babys auf dem Arm und viele Zeugen für jeden einzelnen Fall, und auf der anderen Seite die Männer, die ihre Vaterschaft bestritten, mit den entsprechenden Zeugen. Die Verhandlungen wurden von einem freundlichen alten Mann geführt, der den streitenden Parteien begütigend zuredete. Er war kein Berufsrichter.
Man riet uns Ausländerinnen, einen Dolmetscher zu nehmen; zu diesem Zweck war die Sekretärin der Hotelverwaltung des„ Lux" erschienen. Ich bestand darauf, mich selbst zu verteidigen. In schlechtem Russisch schilderte ich dem Gericht und den vielen Zuhörern, daß wir als politische Emigranten nach Sowjetrußland gekommen seien, die NKWD vor einigen Monaten unsere Männer verhaftet habe und wir seither ohne Arbeit und Unterstützung leben müßten. Um nicht zu verhungern, seien wir gezwungen, unsere Bücher, Kleider und Wäsche zu verkaufen. Wenn wir dem Räumungsbefehl der Hotelverwaltung Folge geleistet hätten, lägen wir jetzt auf der Straße ohne eine Unterkunft. Denn wer würde uns, die nicht einmal eine Aufenthaltserlaubnis besitzen, ein Zimmer abgeben? Wer würde uns als Hinterbliebenen eines Verhafteten ein Obdach gewähren? Der Vorsitzende stellte nur eine Frage:„ Haben Sie Verwandte in Sowjetruẞland?" ,, Außer meinem verhafteten Mann keine." Dann zog sich das Gericht zurück. Das Urteil lautete, daß man mich unter diesen Umständen nicht exmittieren dürfe und ich auch keine Miete zu zahlen brauche. Für die neun anderen Frauen wurde die gleiche Entscheidung gefällt. Wir waren glücklich, in unseren Zimmern bleiben zu dürfen, aber die Rache des Hotelkommandanten Gurewitsch war mir gewiß.
Nach und nach verkaufte ich alle meine Bücher. Einmal ging ich mit einem Koffer voller Hegel- und Leninbände in den Keller eines Antiquariats in der Ulitza Gorkowo. Da fiel mir ein neuer Verkäufer auf, der gar nicht in dieses Milieu passen wollte. Mit jeder Bewegung betonte er ,,, ich gehöre hier nicht hin, da hat sich jemand einen schlechten Spaß erlaubt". Ich öffnete den Koffer und bot ihm meine Bücher an. Da meinte er lachend: ,, Was haben Sie da? Hegel und Lenin ? Solche Literatur ist nicht mehr gefragt. Bringen Sie lieber Kriminal
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