ihn kannte, setzte sich mit ihm an einen Tisch und freute sich, einen Menschen gefunden zu haben, mit dem man eine Unterhaltung führen konnte. Wir saßen noch keine Viertelstunde, als eine junge Deutsche zu unserem Tisch trat, Wieland Herzfelde und Neumann begrüßte und sich zu uns setzte. Sie hieß Hilde, war aus Prenzlau , hatte irgendwann einen Russen mit Namen Kamarow geheiratet und lebte schon einige Zeit in Moskau . Sie nannte sich nur noch Kamarowa, sprach deutsch mit russischem Akzent und betonte bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit, daß sie eine ,, Komsomolka", Mitglied des russischen kommu nistischen Jugendverbandes sei. Neumann und mir war sofort klar, mit welcher Absicht die ,, Kamarowa" an unseren Tisch kam; sie war eine bekannte Denunziantin. Ich stieß Neumann unter dem Tisch an und sagte einen Satz mit dem Wort„ einerlei", das war unsere Vereinbarung, wenn Gefahr drohte. Die Unterhaltung stockte ein wenig und wurde dann langweiliger und langweiliger. Ich stand auf, verabschiedete mich und ging nach Hause. Nach einiger Zeit kam auch Neumann zurück und ich fragte ihn sofort besorgt:„ Hast du auch wirklich nichts Gefährliches gesagt?" ,, Aber wo denkst du hin, ich kenne doch dieses Ekel."
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Nach einer Woche wurde Neumann zur Kaderabteilung des Verlags beordert. Auf dem Tisch lagen zwei engbeschriebene Bogen, und der Vorsitzende der Kaderabteilung stellte die Frage: ,, Haben Sie am soundsovielten folgenden Ausspruch getan: Nicht diese Scheiß- Tschistka wird uns retten, sondern eine kommende welthistorische Tschistka." Neumann antwortete, daß er so etwas nie geäußert habe und: ,, Zu meiner Verteidigung kann ich nur vorbringen, daß mein Stilgefühl eine Formulierung wie Scheiß- Tschistka nicht zuläßt."
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Die Tschistka"( Parteireinigung) wurde in der russischen Kommunistischen Partei alle paar Jahre durchgeführt. In den Parteiversammlungen jedes Betriebes hatte zur Zeit der„, Tschistka" jeder Kommunist die Pflicht und das Recht, an solche Parteigenossen öffentliche Fragen zu stellen, in deren politischer Vergangenheit es irgendwelche ,, Abweichungen" gab oder deren politische Haltung und deren persönliche Beziehungen zu dem Verdacht der politischen Unzuverlässigkeit Anlaß gaben. Und der Gefragte mußte Rede und Antwort stehen, mußte sich öffentlich selbstbezichtigen und demütigen, um nicht eine Parteistrafe zu erhalten oder aus der Partei ausgeschlossen zu werden. Sehr häufig war ein solcher Angriff in einer Parteiversammlung der Auftakt zur späteren Verhaftung durch die NKWD .
Eigentlich waren Neumann und ich seit dem Tage unserer Ankunft in Sowjetruẞland Gefangene, und so wie wir hatten alle dort lebenden Emigranten keine Möglichkeit, das Land zu verlassen, falls sie nicht in einem ,, Kominternauftrag" hinausgeschickt wurden. Da lebte z. B. der deutsche Schriftsteller Alfred Kurella . Der französische Schriftsteller
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