Ankunft telefonierte Wilhelm Pieck , der damalige Parteisekretär der KPD , und forderte uns auf, sofort in das Emigranten- Hotel im Stadtteil ,, Baltschuk" zu übersiedeln. Wir kamen diesem„ Befehl" jedoch nicht nach.
In Moskau war die Atmosphäre zum Ersticken. Ehemalige politische Freunde wagten nicht mehr einander zu besuchen. Das Hotel„ Lux" konnte man nur mit einem ,, Propusk"( Durchlaßschein) betreten. Jeder Besucher wurde registriert. Dadurch hatte die NKWD eine vorzügliche Kontrolle. Die Telefone in den einzelnen Zimmern des Hotels wurden überwacht. Immer wieder bemerkten wir ein knackendes Geräusch, nachdem die Verbindung hergestellt war. Die Post unterlag selbstverständlich einer Kontrolle. Die Furcht vor Bespitzelung nahm solche Formen an, daß sich gute Freunde, wenn sie es doch gewagt hatten, zu Besuch zu kommen, zuflüsterten:„ Habt ihr euer Zimmer auch genau durchsucht, ob man nicht irgendwo einen Abhörapparat einmontiert hat? Ist nicht vielleicht irgendwo ein Mikrophon angebracht? Etwa in der Lampe? Vielleicht im Telefon?" Ich erlebte, daß jemand alle Steckkontakte abmontiert hatte und sie nach einer Membrane untersuchte.
Es gab kaum einen der dort lebenden Emigranten, der nicht einmal während der letzten zehn Jahre eine ,, Abweichung von der Linie der Komintern " gehabt hätte, und damit hielt die ,, Kaderabteilung der Komintern" oder die ,, Internationale Kontrollkommission" jeden an der Gurgel. Gib eine befriedigende Erklärung ab. Bekenne deine politischen Fehler. Folge dem Gebot der, Wachsamkeit und decke jegliche kritische Haltung der Menschen, mit denen du verkehrst, schonungslos auf! Gib zu, Protokoll jede Äußerung in deiner Umgebung, die nach, Abweichung" schmeckt! Nur dann werden wir überzeugt sein von deiner Parteitreue und dich in die Arbeit einreihen."
In den zwei Jahren unseres Moskauer Aufenthaltes bis zu Neumanns Verhaftung verging wohl kein Monat, in dem er nicht entweder zur ,, Internationalen Kontrollkommission" oder zur„, Kaderabteilung der Komintern " oder zur ,, Kaderabteilung der Verlagsgenossenschaft Ausländischer Arbeiter" wir waren in diesem Verlag als Übersetzer tätig gerufen wurde. Entweder forderte man ihn auf, endlich eine ,, befriedigende" Erklärung über seine politischen Fehler abzugeben, oder ,, zog ihn für kritische, parteifeindliche Äußerungen zur Verantwortung".
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Ich will nur einen charakteristischen Fall schildern. Neumann und ich waren, wie gesagt, Angestellte der„ Verlagsgenossenschaft Ausländischer Arbeiter". Auf einem Fest man nennt es besser ,, Kameradschaftsabend" des Verlags, zu dem jeder Mitarbeiter erscheinen mußte und das von einer krampfhaften Fröhlichkeit erfüllt und das Dümmste und Traurigste war, was man sich an Geselligkeit nur denken konnte, war der Verleger Wieland Herzfelde aus Prag anwesend. Neumann, der
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