keiner hören, daß wir deutsch redeten. Der Genosse H. J. versuchte mir irgendeine Abschreibarbeit zu verschaffen. Er selbst war schon monate­lang arbeitslos. Als Mitarbeiter einer Zeitschrift hatte er einen Artikel veröffentlicht, der nicht auf der richtigen politischen Linie" war. Er wurde entlassen und erhielt als Parteistrafe ,, eine strenge Rüge mit letzter Verwarnung". Ein Roman, den der Staatsverlag in Moskau zu­erst angenommen hatte, in dem H. J. das Leben eines Ausländers in der Sowjetunion schilderte und dabei die Hungerjahre 1930/31 erwähnte, wurde mit dem Vermerk abgelehnt: ,, In der Sowjetunion hat niemals Hunger geherrscht."

Unter den zurückgebliebenen Frauen gab es auch solche, die nicht zu ihren Männern hielten, nicht zu den Gefängnissen liefen, um die kümmerlichen 50 Rubel einzuzahlen, sondern als Stalin 'sche Kommu­nistinnen sich von ihnen lossagten. Sie gaben nach der Verhaftung ihrer Männer öffentliche Erklärungen gegen sie ab, in denen sie sich von deren politischen Vergehen abgrenzten", ihre Parteitreue" und zu­künftige ,, Wachsamkeit" gelobten. Zwar verhinderte ein solches Ver­halten nicht auf alle Fälle die Verhaftung, aber es war eine Chance.

*

An dieser Stelle will ich einiges über das Leben in Moskau erzählen, so wie es war, noch bevor ich eine ,, Hinterbliebene" wurde. Wir waren politisch Geächtete, da Neumann im Winter 1931/32 wegen politischer Abweichungen von der Kominternlinie in Fragen des Kampfes gegen die Nationalsozialisten von seiner Funktion als Mitglied des Polit­büros der Kommunistischen Partei Deutschlands abberufen worden war und trotz ständiger Aufforderung durch die Komintern keine ,, befrie­digende Erklärung" abgegeben hatte, in der er seine Fehler ,, kritisierte, die Richtigkeit der Kominternlinie betonte, und aus der hervorging, daß und er sich ,, der Schwere seines politischen Vergehens bewußt" war in der er in jeder erdenklichen Form zu Kreuze kroch. Gleiches wie wir erlebten in jenen Jahren in der Sowjetunion viele, viele Menschen. Das Schicksal der deutschen Kommunisten und ihre Liquidierung war zugleich das Schicksal einer ganzen Generation von ehemaligen Revolutionären. Wir kamen im Mai 1935 nach Moskau . Neumann war Schweizer Zuchthaus Regensdorf , in dem er als Auslieferungsgefangener an Hitler- Deutschland saß, bis die Schweizer Regierung nach sieben Monaten das Auslieferungsbegehren zurückwies, unter Polizeibewachung auf ein russisches Transportschiff in Le Havre gebracht worden. Schon auf dem Schiff hatte er zu mir gesagt: Vielleicht wird man mich in Leningrad verhaften." Es kam nicht so. Wir erhielten sogar in Moskau ein Zimmer im Hotel ,, Lux", dem Gemeinschaftshaus der Komintern , was aber scheinbar ein Versehen war, denn schon am Tage nach unserer

20

aus dem