schaft Ausländischer Arbeiter war ich bereits entlassen worden. Um neue Arbeit zu finden, mußte man aber irgendein gültiges Dokument vor­weisen. So stellte ich mich bei der genannten Amtsstelle an eine der endlosen Schlangen. Am Schalter wurde mir die Auskunft erteilt, daß man meinen Ausländerpaß erst dann verlängern würde, wenn ich meinen deutschen Paẞ beibrächte. Ich versuchte, meine Situation zu erklären, bekam aber die kategorische Antwort: Bringen Sie uns Ihr nationales Dokument!" Bis dahin erhielt ich eine Aufenthaltserlaubnis von fünf Tagen, und mit diesem rosa Papierchen war es unmöglich, Arbeit zu be­kommen. Die Komintern verweigerte jegliche Auskunft über den Ver­bleib meines deutschen Passes und lehnte es ab, der Meldestelle eine Mitteilung zu machen. Das gleiche erlebten fast alle Hinterbliebenen, und so waren wir gezwungen, uns alle fünf Tage polizeilich zu melden und hatten keine Möglichkeit, Arbeit zu finden. Was sollten wir machen? Unterstützung gab es nicht. Unter den Hinterbliebenen waren viele Frauen mit Kindern. Manche entschlossen sich in ihrer Verzweiflung und Aus­weglosigkeit, zur nationalsozialistischen Deutschen Botschaft in Moskau zu gehen und dort um Schutz zu bitten. Da konnte es ihnen dann passieren, daß sie beim Verlassen der Botschaft auf der Straße von der NKWD verhaftet wurden. Eine ganze Reihe Familienmitglieder der ver­hafteten österreichischen Schutzbündler hatten sich auch zu diesem Schritt entschlossen. Die Nazis gaben ihnen Wohnung in einem zum Konsulat gehörenden Haus und unter dem Schutz eines Beamten der Deutschen Botschaft wurden sie im Auto zur Meldestelle für Ausländer gefahren, um ihre Ausreise aus Sowjetrußland zurück nach Österreich zu be­treiben. Dann hörten wir von den ersten Ausweisungen Hinterbliebener nach Hitler- Deutschland.

Um leben zu können, waren wir gezwungen, alles zu verkaufen, was wir besaßen. Zuerst die sogenannten Wertgegenstände, wie Gram­mophon, Fotoapparat oder Radio, dann die Bücher, und zuletzt kamen die Kleider dran. Da standen wir dann mit unseren Sachen auf dem freien Markt, und weil wir die russische Sprache nicht beherrschten, betrog man uns nach Strich und Faden.

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Noch einer unserer Freunde hatte mich nicht im Stich gelassen. Es war der ungarische Genosse H. J. , den ich damals in den ersten Tagen nach der Verhaftung im Café Sport" getroffen hatte. Er war mit einer Russin verheiratet. Sie luden mich, ein, sie zu besuchen. Trotz größter Bedenken und mit allen Vorsichtsmaßnahmen ging ich zu ihnen. Sie hatten ein Zimmer in einer der typisch russischen Wohngelegenheiten, die aus sechs Zimmern bestand und früher von einer Familie bewohnt worden war, aber jetzt sechs Familien Unterkunft bot. Die zur Wohnung gehörige Küche und das Badezimmer wurden gemeinsam benutzt. Wenn ich dort zu Besuch war, durfte ich nur leise sprechen, denn es sollte

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