Gegenzeichnen in die Zelle gereicht wird. Heute noch oder morgen würde Heinz wissen, daß ich noch in Freiheit bin und daß ich ihn gesucht habe.
Dann stand ich auf dem Platz vor der Lubjanka, einem großen Ziegelbau, auf dessen Giebel eine riesige rote Fahne weht, neben der Tag und Nacht ein Posten mit aufgepflanztem Bajonett Wache hält und die nachts mit Scheinwerfern bestrahlt wird. Mein Blick ging über die vielen mit Kästen verhängten Zellenfenster. Wo mochte Heinz sitzen? Wenn ich ihn doch noch einmal sehen könnte. Aber er lebte ja noch. Auf dem Heimweg verspürte ich das erste Mal, daß es Sommer geworden war.
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Ich begegnete der Frau des deutschen Genossen Sch. Da ich nicht wußte, ob sie mich grüßen würde, blickte ich auf die andere Straßenseite. Aber sie blieb stehen, faßte mich am Arm: Was ist denn mit dir? Warum kommst du nicht mehr zu uns?" Wie kann ich es wagen, dich und deinen Mann zu gefährden?" Aber sie lud mich dringlich ein, sie zu besuchen. Sch. war seit Monaten ohne Arbeit. Er erzählte mir, daß er jede Nacht auf seine Verhaftung warte und auch das kleinste Stückchen beschriebenen Papiers verbrannt habe. ,, Weißt du, Heinz ist ebenso unschuldig wie ich, wie alle, die schon verhaftet wurden und jene, die noch drankommen werden. Wir sind die Opfer der russischen faschistischen Politik. Man serviert uns ab, weil sie uns nicht mehr nötig haben." Sein Gesicht war verfallen und gelb, die Hände dieses großen, starken Arbeiters zitterten wie die eines Greises. ,, Kümmere dich um meine Frau und das Kind, wenn ich weg bin. Sie spricht nicht russisch." Eine Woche später wohnten schon beide bei uns im Nepflügel. Am selben Tag kamen noch viele andere deutsche Hinterbliebene. Die NKWD hatte eine Nacht für die Deutschen " veranstaltet.
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Als wieder eines Abends, diesmal früher als sonst, sich die Schreckensnachricht im Nepflügel verbreitete:„ NKWD ist im Hause", flüchtete eine Anzahl deutscher Frauen wir hatten gerade in der gemeinsamen Küche gestanden und das Abendessen gekocht in ein Zimmer, wie Tiere, die sich gegenseitig schützen wollen. Wir lauschten gespannt auf die herannahenden Schritte und an welcher Tür sie wohl klopfen würden. In der Erregung begannen wir zu singen, und welches Lied fiel uns zukünftigen Häftlingen" ein? Die Moorsoldaten".
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Mit einem Omnibus fuhr ich gegen Abend die Leningrader Chaussee hinaus zum Treffpunkt mit unserem Freund K. F. Ich beobachtete genau die Menschen, welche gemeinsam mit mir einstiegen, um festzustellen, ob vielleicht einer an der gleichen Haltestelle wie ich wieder aussteigen würde. In einem Park am Rande der Stadt wartete ich. Ob er kommen
2 Buber: Gefangene.
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