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,, Mach' doch nicht ein so entsetztes Gesicht." Ohne Zittern in der Stimme, ohne ein Zeichen von Verzweiflung oder Angst, begann Heinz mich zu trösten. Der Natschalnik unterbrach uns: ,, Es ist verboten, in deutscher Sprache miteinander zu reden."

Einer von den drei NKWD - Leuten, ein kleiner, runder, der damit beschäftigt war, die tausend Bände unserer Bibliothek zu durchsuchen und jedes einzelne Buch durchblätterte, schleppte wie ein apportierender Hund einen interessanten Fund nach dem andern zu seinem Vorgesetzten. Auf dem Fußboden häuften sich Bücher trotzkistischen, sino wjewistischen, radekistischen, bucharinistischen Inhalts. Aufgeregt überbrachte er einen Brief Stalins an Neumann aus dem Jahre 1926, der in irgendeinem Band gesteckt hatte. In diesem Schreiben fordert Stalin Neumann auf, in der ,, Roten Fahne", dem damaligen Zentralorgan der KPD , einen politischen Angriff gegen Sinowjew zu starten. Der Bebrillte las ihn aufmerksam und äußerte dann kühl und geschäftlich: Um so schlimmer." Bald war das Zimmer in eine Staubwolke gehüllt. Am Schreibtisch saß der Natschalnik und räumte ihn bis auf den letzten Zettel aus. Jede Foto­grafie, die Briefe meiner Kinder, alles wurde beschlagnahmt.

Wir saßen uns gegenüber. Meine Knie wollten nicht aufhören zu zittern. Heinz fügte zwischen russische Sätze kurze deutsche ein. Wir sprachen unsere eigene Sprache. ,, Stalin trägt die Verantwortung für unzählige Verbrechen. Wenn du am Leben bleiben solltest und noch ein­mal ins Ausland kommst, geh zu Friedrich Adler ..." Und dann immer wieder Tröstendes: ,, Sei nicht so verzweifelt, vielleicht sehen wir uns doch irgendwann wieder...

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Langsam wurde es hinter den Gardinen Tag. Die Geräusche des großen Hotels drangen zu uns. Aber dieses Tageslicht und dieser Morgen waren nicht für uns bestimmt. Unsere letzten Stunden waren gekommen, ich war ausgelöscht, keiner Worte fähig.

Dann setzte der NKWD - Natschalnik das Protokoll der Durch­suchung auf: ,, Sechzig Bücher trotzkistischen, sinowjewistischen, kamen­jewistischen, bucharinistischen Inhalts, einen Koffer voller Manuskripte, Briefe, Schriftstücke."

Heinz nahm Mantel und Mütze. Ich hielt mich am Bücherbrett fest, drückte die Fingernägel ins Fleisch, biß auf die Lippen, um nicht zu weinen. Wir umarmten uns. Da kamen die Tränen. Du darfst nicht weinen." ,, Beeilen Sie sich! Los!" Heinz ging zur Tür, drehte sich noch einmal um, lief zurück, küßte mich: Weine nur, ach, es ist ein Grund zu weinen!"

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Das Zimmer war leer, das Licht brannte. Aufgerissene Schubladen, überall Bücher und Papierfetzen

Und als sei noch etwas zu retten, eilte ich die Treppe hinunter zum Zimmer des Leiters der Kaderabteilung der Komintern , zu Alichanow,

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