einem alten Bekannten von Heinz. Seine Frau öffnete. Alichanow saẞ im Bett, schweißüberströmt. Als ich ihm mitteilte, man habe soeben Heinz verhaftet, nickte er nur und wischte sich Stirn und Gesicht ab. Auf meine schluchzende Frage, ob er nicht helfen könne, blickte er hoffnungslos, versicherte aber, alles tun zu wollen, was in seiner Macht stehe. Er ging einige Monate später denselben Weg wie Heinz.
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Am Tage nach den Maifeiern klingelte das Telefon. Die Kinderfrau meiner Freundin Hilde Duty bat mit schluchzender Stimme, ich solle sofort hinunterkommen ins Vestibül des ,, Lux". Da stand sie mit Hildes Töchterchen, der kleinen Swetlana, und flüsterte mir erregt ins Ohr: ,, Heute Nacht haben sie Hilde verhaftet!" Über das liebe Bauerngesicht der alten Nanja rannen unaufhaltsam Tränen.„, Greta, Sie müssen helfen! O, mein Gott! O, mein Gott!" Und während wir mit entsetzten, erschreckten Gesichtern in der Ecke flüsterten, gingen durch das Vestibül mit seinen riesigen Wandspiegeln und dem lächerlichen Prunk des beginnenden Jahrhunderts die Angestellten der Komintern zur Arbeit, alle diese ,, Gerechten ", die durch Wachsamkeit" ihr Leben zu retten gedachten und nicht zögerten, ihre Kameraden der NKWD zu verraten. ,, Dschura, bitte, weinen Sie nicht mehr. Ich werde alles tun!" und Tränen erstickten meine Stimme. Swetlana blickte prüfend auf uns beide: ,, Wann kommt die Mama zurück?" Dschura fuhr mit dem Zipfel ihres Kopftuches über die nassen Runzeln:„ Bald, Kukuschka, meine Liebe..." Und dann gingen sie durch die Drehtür hinaus auf die Straße. Beim Zurückgehen in mein Zimmer traf ich den alten polnischen Revolutionär Waletki. Der hatte noch niemals eine Begegnung vorübergehen lassen ohne freundschaftlichen Gruß oder ein Kompliment. Ich stutte, nickte in Erwartung eines Gruẞes Waletki senkte den Blick mit verlegenem, fast schuldbewußtem Gesicht. Eine Geächtete, die Hinterbliebene eines Verhafteten, durfte er nicht mehr grüßen. Überall auf den Korridoren begegnete ich verächtlich- neugierigen Blicken. Es ist nicht leicht, ihnen standzuhalten, wenn einem die Tränen im Halse sitzen.
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Fünf Nächte waren schon vergangen und ich immer noch nicht verhaftet. Noch hatte ich nicht gewagt, mich mit irgendeinem von unseren wenigen guten Freunden in Verbindung zu setzen, denn ich durfte sie doch nicht gefährden. Jedesmal, wenn das Telefon klingelte, nahm ich zögernd und voller Angst den Hörer ab, denn alle unsere Gespräche wurden überwacht. Da rief unser Freund H. J. an: Warum meldet ihr euch nicht? Ist etwas geschehen?" Es knackte im Hörer, die Über
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