oder morgen in Not und Krankheit hinstarb, sei es, daß, heute oder morgen, das uns zum Feind gewordene Vaterland uns tötete.
Der Gedanke an Rettung und Befreiung, der noch dazu, herzbedrükkend, den Gedanken an die Niederlage und den Untergang Deutschlands in sich schloß, war wie eine Fata Morgana, wie eine Lichtspiegelung in unerreichbarer Ferne, die nur wenige sahen.
Wer von uns konnte schon mit dem Herrn sagen: ,, Seid getrost, ich habe die Welt überwunden!"? Nein, Trauer und Sehnsucht, Resignation oder Verzweiflung mußten das tägliche Brot dieses Lebens sein und bleiben, wenn nicht die Gnade des Herrn leuchtete.
Von der Gnade des Herrn zu sprechen, zu zeigen, daß sie auch uns leuchtete, uns in diesem anscheinend hoffnungslosen Leben, das mußte der Inhalt der Predigt sein.„ ,, Der Herr ist treu, er wird euch stärken und bewahren"( 2. Thess. 3, 3) ,, Setzt eure Hoffnung ganz auf die Gnade"( 1. Petr. 1, 13) mußten also der Orgelton sein, auf dem die Melodien der Verkündigung des Wortes Gottes erklangen.
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Als Texte für den Gottesdienst wurden grundsätzlich die Perikopen benutzt. Es ergab sich im Laufe der Jahre auf das deutlichste, daß das keineswegs eine zur Wiederholung führende Fessel war, sondern daß der Inhalt immer wieder gegenüber der gegebenen Situation ein völlig neuer war, so als ob man das Wort nie so gehört hätte. Auf diesen Texten, und zwar regelmäßig auf beiden, auf der Epistel und dem Evangelium, baute die Predigt auf, und es war fast rätselhaft, daß eine Verbindung, ein Zusammenhang zwischen ihnen nie gesucht, nie konstruiert zu werden brauchte, sondern sich immer von selbst ergab.
Die Anlage der Predigt war synthetisch, und aus der möglichst zurückhaltenden Exegese ergab sich die thematische Behandlung, sei es aus dem Texte der Epistel, sei es aus dem des Evangeliums derart, daß alle die uns in unserer Bedrücktheit sich aufwerfenden Fragen immer auf Grundlage des Themas erörtert werden konnten.
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Eine schriftliche Vorbereitung der Predigt war infolge der äußeren Umstände keine Schreibgelegenheit, keine Ruhe in dem immer überfüllten Zimmer ausgeschlossen; die schlaflosen Nächte mußten zum Durchdenken benutzt werden, und wenige Notizen über die auftauchenden Gedanken mußten genügen, um alles übrige der Gnade Gottes zu überlassen.
Die Aufgabe war klar: Es konnte sich nicht um Erbauung und Belehrung handeln, sondern um die Erweckung von Mut aus der Heilsgewißheit im Hinblick auf das Letzte, nicht nur als Selbstverständnis des einzelnen, sondern auch als Grundlage einer christlichen Führung des Lebens untereinander.
Ein solcher Mut war es allein, der angesichts dessen, was hinter uns lag, was der Tag mit sich brachte und was die Zukunft drohte, es möglich machte, das Leben in dieser Welt zu ertragen, in einer Welt, die für uns doch noch nicht zu Ende war. Denn wir standen ja noch in ihr, wir sehnten uns noch nach den Lieben und nach der Heimat, wir wollten nicht
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