hungern und frieren, wir wollten wieder frei werden, und in jeder Seele glühte noch mehr oder minder stark die Hoffnung: Trotz allem, es konnte vielleicht doch einmal wieder anders werden, wenn man nur durchhielt!

Es wäre daher sinnlos gewesen, die Predigt rein chiliastisch zu gestal- ten, diesem menschlichen Hoffen nicht immer und immer wieder neuen Auftrieb zu geben, von dem eigenen Optimismus etwas auf die anderen überstrahlen zu lassen.

Immer wieder kam daher in der Predigt Römer 5. 5:Hoffnung läßt nicht zu Schanden werden ungesucht zum Klingen und Mitklingen man konnte, wenn auch in der Form vorsichtig auf Grund der herein- dringenden Gerüchte darauf hinweisen, daß der Krieg verloren sei und die Befreiung noch rechtzeitig vor dem Ende kommen könne, daß die Hoffnung auch auf das Hier nicht lasse zu Schanden werden kurz, man konnte das Wort diesseits wendend, die verweinten Augen zum Leuchten bringen, und doch dem Worte seinen eigentlichen Sinn lassen: Wir rühmen uns der Trübsal. Wir wissen, daß auch das Leiden eine Gnade Gottes ist, daß unter der Gnade auch unser Auftrag steht, wenn wir wieder Deutsche unter Deutschen werden sollten: Unsere Aufgabe ist dann nicht Vergeltung, sondern mit aufzubauen an dem inneren Deutschland , sich auswirken zu lassen, was das Leid uns an geistiger Erhöhung geschenkt hat.

Andererseits kamen, aus den Erlebnissen des Tages heraus, immer wieder letztlich ganz umfaßt von Matthäus 22, 3740 die in so mannigfachen Worten der Schrift enthaltenen Lebensgebote zur Geltung. Es liegt auf der Hand, wie viele Spannungen, Zusammenstöße und äußerst selbstische Regungen dieses unselige, gedrückte und zermürbende Zusammenleben mit sich brachte. Schelten und Schimpfen, Rücksichts- losigkeit, Übervorteilungen waren an der Tagesordnung, und jede An- sammlung von Menschen, wie sie schon beim Essenholen täglich sich ergab, war darum doppelt unerfreulich.

Darum mußte auch die moralische Haltung des Christen ihren Platz in der Predigt haben.

Aber noch ein anderer Gegenstand ein solcher, der nicht auf das äußere Verhalten, sondern nur auf die innere Einstellung sich bezog kam für die Predigt in Betracht.

Das Bewußtsein, Christ zu sein, die Vorstellung, zumVolke Israel im christlichen Sinne zu gehören, legte gar zu leicht eine pharisäerhafte Einstellung gegenüber dem Judentum, eine gerade in. diesem Ghetto- milieu besonders unangebrachte Überheblichkeit nahe, die oft nicht einmal verhehlt wurde.

Zur erzieherischen Aufgabe der Predigt gehörte es daher auch, über die religiöse Bedeutung des Judentums aufzuklären, und zwar in der Weise, daß nicht auf Grund liberaler Toleranz, sondern im Zusammenhang mit dem geschichtlichen Werdegang die immer verspöttelte jüdische Gesetzes- treue, die Einstellung Christi zum Gesetz und zu den Pharisäern ver-

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