gestellten Räume für die Versammlung unserer Gemeinde ungeeignet. Es war zuerst ein mit Inventar vollgestellter großer Büroraum in einer Kaserne, später ein Kirchenraum, also ein Dachboden mit Bretterbänken. Die Leitung dieser Abende übernahm bald Dr. Stargardt, und er widmete sich dieser Aufgabe zur Freude aller mit der Schlichtheit und Liebenswürdigkeit, die sein ganzes Wesen durchstrahlte.
Der Abend wurde eingeleitet mit einer Andacht, die oft an einen Spruch der Losungen anknüpfte, und dann folgte ein Vortrag eines Gemeindemitgliedes, zuweilen eines solchen der katholischen Gemeinde. Anfangs beschränkte man sich um sich etwas näherzukommen auf Mitteilungen über das eigene Leben, insbesondere über die eigene religiöse Haltung, wenn auch gewiß nicht in Bekennerart.
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Von den späteren Vorträgen sei zunächst genannt der über„ ,, Die literatur- und geistesgeschichtliche Entwicklung des protestantischen Chorals". Über ,, Palästina" sprach eine Dame, die jahrelang dort als Lehrerin in einer evangelischen Schule gewirkt hatte. Dr. Stargardt trug ,, Lebenserinnerungen und Begegnungen mit der katholischen Welt" vor; Fliegererinnerungen aus dem vorigen Kriege erzählte Dr. Engelmann aus Berlin , ein besonders treues, früh bei uns verstorbenes Mitglied der Gemeinde. Professor Hochstetter, ein bekannter Schriftsteller, der, dreiundsiebzig Jahre alt, nach langem Krankenlager gestorben ist und bis zu den letzten Tagen, schon ganz ermattet, noch launige Gedichte schrieb, las Gedichte und Bruchstücke eines in Theresienstadt geschriebenen Ro
mans vor.
Die erblindete, achtzigjährige Geheimrätin Bernstein aus München - unter dem Namen ,, Ernst Rosner" die Verfasserin der von Humperdinck vertonten ,, Königskinder" und Gegenschwägerin von Gerhart Haupt mann sprach über ihre Erinnerungen an Liszt und Bülow, denen ihre Eltern und sie sehr nahegestanden hatten.
Der frühere Richter am Reichsfinanzhof, jetziger Oberfinanzpräsident in Nürnberg , Dr. Grabowor, hat einen Vortrag über die Bibel als literarisches Werk gehalten.
Von den katholischen Vorträgen diente der erste, über die ,, Una Sancta", dazu, durch die Kenntnis dieser Bestrebungen dem harmonischen Zusammenarbeiten der beiden Gemeinden von vornherein die feste Grundlage zu geben. Einem über die Messe folgte von evangelischer Seite ein solcher über das Abendmahl und über die Lehre von der Rechtfertigung.
Einen unvergeßlichen Eindruck hat ein Vortrag des Feldmarschallleutnants Friedländer hinterlassen. Friedländer, eine Erscheinung, die in ihrer sprühenden Frische und Wiener Liebenswürdigkeit immer noch etwas von dem jungen Kavallerieoffizier an sich hatte, war ein Mann von tiefer Frömmigkeit, außerordentlicher Bildung und überlegener Menschlichkeit, aus dessen Mund nie ein Wort der Bitterkeit oder Verzweiflung kam. Er hatte schon einmal von seinem Offiziersleben und seinen Wiener Erinnerungen gesprochen und nun einen Vortrag über
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