jenigen, welche keine Selbstbeherrschung besaßen, vielleicht auch keine gute Erziehung erhalten oder sie in ihrer jetzigen Umgebung verloren hatten, scheuten sich oft nicht, ihrer Mißachtung.bei gegebener Gelegen- heit unverblümten Ausdruck zu geben. Der Gedanke, daß jemand nicht aus Nützlichkeitsgründen, sondern aus Überzeugung zum Christentum übergetreten sei oder ein gläubiger Christ habe werden können, war offen- bar unvollziehbar. Vielleicht war das Mißtrauen gegen die Echtheit des dortigen Christentums bei den Theresienstädtern überhaupt etwas größer, weil die weitgehende Anwendung der Nürnberger Gesetze auch bei den Juden fast gänzlich unbekannt war, so daß niemand wußte oder glauben wollte, daß als„Jude“ auch galt, wessen Urgroßeltern zur Zeit der Geburt der Großeltern noch nicht getauft waren. Immer wurden die, die als Kinder getauft und deren Eltern Christen gewesen waren, gefragt: »Warum sind Sie denn hier?“
Jedenfalls hatten aus dieser Einstellung viele, besonders Frauen, zu leiden, die einzeln oder in der Minderzahl in Massenquartieren mit Juden hausten.
Aus dieser Situation ergab sich auch die Tatsache, daß nicht nur ein gewisser Rückstrom in das Judentum zu beobachten war, sondern nicht wenige es von vornherein scheuten, sich als Christen zu bekennen; sie hatten sich deshalb bei den offiziellen Personalaufnahmen als mosaisch oder konfessionslos bezeichnet. Das hatte im Einzelfalle die Folge, daß beim Tode jene Eintragung maßgebend war und die christliche Bestat- tung dieser Toten von der Verwaltung verweigert wurde.
Es meldeten sich auch Nichtchristen; sie wurden als Mitglieder nicht eingetragen, jedoch wurde ihnen gesagt, daß ihre Teilnahme an den Gottesdiensten willkommen sei, daß sie aber am Abendmahle nicht teil- nehmen dürften.
Von einer konfessionellen Beschränkung war im übrigen keine Rede. Es meldeten sich und wurden, in bunter Mannigfaltigkeit, eingetragen: Lutheraner, Reformierte, Unierte, Hussiten, Angehörige der Böhmischen Landeskirche, Anglikaner, Remonstranten, Angehörige von Brüderge- meinden und andere.
Die Zahl der evangelischen Christen, die sich zur Gemeinde hielten, läßt sich nicht angeben, in die Kartei mögen etwa achthundert aufge- nommen worden sein; ihre Feststellung ist nicht mehr möglich, da die Kartei in Theresienstadt verblieben ist. Diese Zahl wäre auch nicht maßgebend; denn der Bestand wechselte dauernd infolge der ständigen Zu- und Abtransporte und der, besonders in der ersten Zeit, sehr großen Sterblichkeit. Die Kartei auf dem laufenden zu halten, war aus äußeren Gründen nicht möglich.
Der Gottesdienst wurde regelmäßig von einhundertundfünfzig bis zweihundert Personen besucht; an den Feiertagen war der Besuch ein sehr viel größerer.
Im ganzen wuchs die Anzahl der Christen bis zum Februar 1945, als der letzte Transport ankam, im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung, stän-
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