eingestellt war, religiös begründet und beruhte auf dem bei ihm noch durchaus wachen Gedanken, das auserwählte Volk Gottes zu sein. Aber bei dem wohl überwiegenden Teile, der religiös mehr oder minder ent­wurzelt war und nationalistisch dachte, war der jüdische Gedanke nur ein politischer, ein ,, nationaler", der in starkem Umfange nicht nur in der Bejahung des Zionismus seinen Ausdruck fand, sondern auch in der ohne jede Kritik und Prüfung erfolgenden Aufnahme der Rassenideo­logie. Es bedarf kaum einer Ausführung, daß die überzeugten Christen an dieser geistigen Bindung an das Judentum, von dem sie innerlich und äußerlich immer schon gelöst waren oder sich selbst gelöst hatten, nicht teilhatten.

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Der Tag war abgesehen von den Alten, Siechen und Kranken durch scharf kontrollierte Arbeit der mannigfachsten Art ausgefüllt; abends war, mit der Zeit in zunehmendem Maße, Gelegenheit zu Aus­spannung und geistiger Anregung durch von der, Freizeit" organisierte, von der SS. kontrollierte Vorträge belehrenden Inhalts, Konzerte, Varie­tés, selbst Opern und Schauspiele wurden geboten. Auch ein Kaffeehaus mit Musik als besonderer Lichtpunkt für die sogenannten ,, Rote Kreuz"-Kommissionen- fehlte nicht. Innerhalb der Festung selbst herrschte im allgemeinen Bewegungsfreiheit.

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Das alltägliche Leben spielte sich also äußerlich geruhsam ab und ent­behrte nicht einmal eines gelegentlichen Reizes. Aber dennoch blieb es eine schwer zu ertragende Qual. Zunächst war die Ernährung aus den Gemeinschaftsküchen völlig unzureichend und wie sich jedem fort­während schon beim Anblick des anderen einhämmerte auf allmäh­lichen Untergang abgestellt. Es herrschte ständiger Hunger, und die Menschen magerten rasch zu Skeletten ab; das Gewicht der Verstorbe­nen betrug vielfach nur sechzig Pfund! Aber nicht nur war das Quantum völlig unzulänglich, sondern es war in einer Gegend, die an Obst und Gemüse reich war, für eine Bevölkerung, die selbst in großem Umfange Gemüsegärtnerei zu betreiben hatte, jede Verabreichung von Gemüse und Obst unterbunden, so daß die immer schwerer werdenden Erschei­nungen der Avitaminose schließlich alle befielen. Die sehnlichst erwarte­ten kleinen Nahrungsmittelpäckchen, die nur selten aus der Heimat gesandt werden durften, waren nur eine winzige Erleichterung. Zu dem Hunger kam das unbeschreibliche Wohnungselend.

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Nur einige sogenannte, Prominente" teils bevorzugt wegen be­sonderer Stellung und Verdienste auf Weisung von Berlin , teils als höhere Angestellte in der Verwaltung oder als Nutznießer besonderer Beziehungen genossen eine Sonderstellung, indem ihnen, zu wenigen, gut möblierte Zimmer eingeräumt wurden. Alle anderen waren entweder in den Kasernen oder in den Einzelhäusern untergebracht. In den Ka­sernen bewohnte man halbhelle Riesensäle, dunkle, licht- und luftlose Kasematten und Dachböden; alles war aufs engste vollgepfropft. Holz­gestelle mit Strohsäcken, drei übereinander, wurden als Betten im Laufe der Zeit hergestellt; viele aber mußten bis zum Kriegsende auf dem

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