mal abgesehen, überhaupt zweckmäßig sei, Duingen inmitten einer Kata- sirophe, wie sie der Sturz des Nazismus nach sich ziehen mußte, auf eigene Faust zu verlassen, waren sehr geteilt. Wir konnten leicht zwischen zwei Feuer geraten. Entweder fielen wir möglicherweise der SS, oder dem Volkssturm in die Hände, der schon längere Zeit zur Jagd auf Deserteure mobilisiert worden war, womit wir eines Genick- schusses sicher sein konnten, oder wir gerieten vielleicht an eine alliierte Patrouille, die uns kurzerhand als Spione aufknüpfte, Denn unsere Ge- schichte wäre uns, selbst wenn wir uns mit ihr verständlich machen konnten, wohl von keinem Kanadier , Kalifornier oder Kosaken geglaubt worden, Ich habe deswegen meine Kameraden immer wieder darauf hingewiesen, daß wir uns zum mindesten einen Ausweis beschaffen müßten, aus dem klar hervorgehe, daß wir von der Gestapo verschleppt und in ein Lager gesteckt worden seien, und daß es, wenn ein solches Papier nicht anders zu erhalten sei, es doch richtiger für uns sein könne, hinter unserem Stacheldraht sitzenzubleiben, bis die Alliierten kämen und wir von einem ihrer Militärkommandanten einen entsprechenden Passierschein bekommen könnten, Außerdem war zu berücksichtigen, daß, ehe wir an einen Heimmarsch denken konnten, die Gestapo außer Aktion gesetzt sein mußte, jedenfalls keine Möglichkeit einer Nach- richtenübermittlung zwischen Duingen , Hildesheim und Bremen mehr bestehen durfte. Denn sonst konnte es geschehen, daß wir, glücklich zu Hause angelangt, dort wieder von Himmlers Leuten in Empfang genom- men wurden und es uns dann erst recht übel erging.

Aus Duingen fortzukommen, war keine besondere Schwierigkeit. Wir brauchten bloß eines Nachts aufbrechen und uns einen möglichst un- auffälligen Weg durch die Bergwälder suchen, dann waren wir von Gen- darmerie und Volkssturm, die in der Gegend auch nicht besonders zahl- reich vertreten waren, schwer zu fassen, wenn am nächsten Morgen unser Nest leer gefunden wurde,

Die Frage, wie wir am schnellsten nach Hause kommen konnten, war schwer zu beantworten. Heino, der Schiffszimmermann, der in Boden- werder an der Oberweser unter den dortigen Binnenschiffern Verwandte und Bekannte hatte, liebäugelte sehr mit dem Gedanken, von diesem kleinen Weserhafen aus, der von Duingen in einem strammen Tages- marsch erreicht werden konnte, auf dem Wasserwege nach Bremen zu kommen, was voraussichtlich nur zwei Tage in Anspruch nehmen konnte, während für einen Fußmarsch mindestens sechs Tage gerechnet werden mußten, wobei dann die Verpflegungsfrage recht schwierig war, da wir nicht darauf rechnen konnten, unterwegs etwas zu bekommen. Fast jeder von uns hatte allerdings für diesen Fall zwei bis drei Sechspfundbrote und etwas Wurst und Speck, die dauerndauf dem laufenden gehalten wurden, als eine Art eiserne Rationim Keller. Auch dachten wir daran, unseren privaten Vorrat an Kartoffeln, der uns, so bescheiden er war, gerade in solchem Falle sehr nützen konnte, auf Leiterwagen mit- zuführen, die wir uns zu diesem Zweckeorganisieren mußten und auf die wir unter Umständen auch einen Teil unseres Gepäcks verladen

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