44. Der Schnee taut.
Der Winter war, so kalt und hart sich der Januar angelassen hatte, in diesem Jahre schnell zu Ende. Pünktlich mit dem ersten Februar be- gann der Schnee zu tauen und war, trotzdem er recht hoch lag, in we- nigen Tagen verschwunden. Nur auf den Bergen blieb er etwas länger liegen. Der„Winter unseres Mißvergnügens” hatte damit sein vorzeitiges Ende gefunden. Es gab wohl noch einige rauhe Tage und Nächte, Aber die eigentliche Kälte kam nicht mehr wieder, Ferdinand, unser Seefahrer, behielt recht: Er hatte immer wieder prophezeit, daß es keinen sehr langen Winter geben werde, da die Stare dageblieben waren und die Feldlerchen, kaum, daß der Schnee dahinschwand, wieder erschienen.
In unserem weltvergessenen Winkel änderte sich mit dem vorzeitigen Abzug von Schnee und Eis nur so viel, daß die Strecke alsbald aus ihrem Winterschlaf erwachte und damit unsere„reguläre Arbeit wieder be- gann. Ich hatte keine Eile, in ihre Ödnis zurückzukehren, zumal ich mich, um mit unserem Kolonialwarenhändler und Jäger Mager zu sprechen, der das gleiche durchgemacht hatte wie ich, noch„schlapp wie ein junger Hase‘ fühlte, Ich hielt mich allerdings auch nicht an das ungeschriebene Gesetz, daß jemand, der„krank“ war, in der Bude bleiben mußte, Da ich„aus dem Krankenhause kam”, wurde von allen ausschlaggebenden Stellen bereitwilligst anerkannt, daß mir„Erholungsspaziergänge" ver- ordnet waren; daß ich mir diese selbst verschrieben hatte, habe ich aller- dings nicht verraten. So bin ich auch wochentags, und dies notgedrungen allein, oft durch die Berge gewandert, während warme, aber um so hef- tigere Stürme um die Wälder brausten. Ich empfand es als ein schönes Vorspiel des nahendes Lenzes, der über unser Schicksal entscheiden mußte, daß ich so früh im Jahre, wie es immer noch war, von allen Höhen das Tauwasser in ganzen Bächen in die Täler strömen sah, Ich fühlte mich dabei zusehends wieder stärker und allmählich ganz gesund werden. Es kamen auch noch Tage, an denen die Jahreszeiten unter düsterem, wildzerrissenem Wolkenhimmel miteinander kämpften. Aber der Winter hat die Oberhand auch vorübergehend nicht mehr zurückgewonnen, Als ich an einem Sonntag mit Thilo die„Löns-Grotte” besuchte, die noch verschneit im Waldesdunkel lag und die ebenso schwer zu finden war wie eine Beantwortung der Frage, was der unglückliche Dichter eigent- lich mit Duingen oder Duingen mit ihm zu tun gehabt habe, blühten unter den steilen Felswänden um die verfallene Schutzhütte schon, von uns mit Freude als sichere Vorboten des Frühlings begrüßt, die Weiden- sträucher.
45. Nächtliche Verschwörung.
Der Zeitpunkt, daß unser Abenteuer in sein kritischstes Stadium treten mußte, rückte immer näher, Wir waren uns seit langem darüber klar, daß die Gestapo und die SS, bevor das Dritte Reich endgültig zusammenstürzte und sie unter seinen Trümmern begrub, versuchen würden, recht viele unseres Schicksals zu„erledigen", wenn die Männer in Berlin und Hildes-
256


