sprach mit allen nur erdenklichen Beteuerungen und sozusagen eidlich, nach Ablauf der in einem solchen Falle obligaten drei oder allerspätestens vier Tage wieder im Lager zu sein und ging, wie in solchem Falle üblich, eines frühen Morgens vor 4 Uhr, von Stolz auf das ihm bevorstehende Abenteuer geschwellt, aus dem Lager, um den ersten Zug zu besteigen und zunächst nicht wiederzukehren,

Es vergingen nach Verstreichen des festgelegten Termins drei Tage: nun, es konnte allzuviel Fliegeralarm oder sonst etwas dazwischen ge- kommen sein, Es vergingen vier Tage: Wir wurden besorgt, denn das war in solchem Falle bei weitem noch nicht vorgekommen. Es vergingen fünf Tage und die Skeptiker hatten recht behalten. Silbermann erschien nicht wieder. Es vergingen sechs Tage und im Lager entstand eine recht beträchtliche Aufregung. Denn der Schwarzfahrtenturnus, der sich in- zwischen wieder eingespielt hatte, kam nun in eine fürchterliche Un- ordnung. Toms ging von dem dabei bisher befolgten Grundsatz, daß der nächste Anwärter auf eine solche Fahrt erst reisen durfte, wenn sein Vorgänger wieder zurück war, nicht ab, und er hatte recht damit, da derjenige, der nicht wiederkam, früher oder später der Bahnverwaltung gemeldet werden mußte, von wo ohne Frage eine Weitermeldung nach Hildesheim erfolgte, und wir dann einer Kontrolle ausgesetzt sein konnten, bei der keiner, außer dem Gemeldeten, fehlen durfte, Die durch Silber- manns Verschwinden betroffenen Kameraden, die schon alle möglichen Vorbereitungen und Dispositionen für die ihnen zugebilligte Reise ge- troffen hatten und nun entgegen von ihnen bereits nach Hause gegebenen Nachrichten nicht fahren konnten, gerieten in erheblichen Zorn.Der verdammte Bengel wurde in allen Tonarten verflucht und es müssen ihm die Ohren davon recht übel geklungen haben,

Das ThemaSilbermann wurde für einige Abende zum Dauergespräch auf unseren Buden. War dernaseweise Flegel bei einer Kontrolle ge- griffen und womöglich der Gestapo ausgeliefert worden? Das war für das ganze Lager eine schreckliche Aussicht, Es war kaum anzunehmen, daß der Junge den Verhörsmethoden der Gestapo standhalten und über unsere Heimlichkeiten schweigen würde, Was dann alles von unserem täglichen Sündenregister: Unerlaubte Reisen, verbotene Postsendungen, Beziehungen zur Duinger Bevölkerung durch Handwerkerarbeiten, Ab- hören von Feindsendern, unzulässige Ortsbesuche usw. usw, herauskommen konnte, mochte der liebe Himmel wissen. Einige, die von unserem Silber- fuchs mit dem Goldhaar ganz schlecht dachten, versicherten, der Kerl sei keineswegs verhaftet worden, sondern er habe sich seine Reise nur erschwindelt, um zutürmen, Er habe gewußt, daß, wenn er aus dem Lager einfach ohne weiteres entfliehe, sehr bald darauf eine Meldung erstattet werden würde, da ihm ja auch irgendwo in der Gegend ein Unheil hätte zustoßen können; er habe darum seineKleidungsbeschaf- fungsfahrt simuliert, um einige Tage Zeit zu gewinnen, irgendwo unter- zutauchen. Wahrscheinlich sei er zu einer seiner Schwestern, die beide in Hamburg ein recht ausgelassenes Leben führten, gefahren und habe

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