dankte und sagte:„Heute abend gern.” Ich stellte die Flasche mit den Worten:„Also dann heute abend” fort. Abends hatte ich dies ganz ver- gessen. Es wäre mir später natürlich irgendwann bestimmt wieder ein- gefallen, aber das war gar nicht notwendig. Denn plötzlich stand er vor mir und streckte mir wortlos einen kleinen Becher hin, und zwar mit einem leisen Vorwurf im Gesicht, als wollte er sagen,„es sollte ja eigent- lich nicht nötig sein, daß man Dich daran erst erinnern muß”, worauf ich mich beeilte, mit einer freundlichen Entschuldigung meiner Vergeßlich- keit, die er wortlos entgegennahm, mein vernachlässigtes Versprechen zu erfüllen, Ähnlich konnte er im Gespräch sein. Er vertrat einmal über die Anwendung der Nürnberger Gesetze und ihrer Ausführungsbestimmungen auf uns Imis Anschauungen, die juristisch unrichtig waren. Ich unterbrach ihn daher, um ihn über seinen Irrtum aufzuklären. Er erhob sich sehr steil und ging mit den Worten:„Wenn Sie das besser wissen, können Sie ja weitererzählen!” ohne weiteres aus der Tür.
Hinter diesem kalten und abweisenden Wesen verbarg sich aber ein sehr warmes und empfindsames Herz, was wir schon vor unserem Ab- schied von Farge , wo es ganz offenbar wurde, deutlich durchschauten und uns daher mit seinem eckigen und manchmal fast kränkenden Ver- halten ruhig abfanden. Er hat es zum Beispiel fertiggebracht, den deut- schen Lagerarzt gegen die dauernden Gefangenenmißhandlungen der Farger Wachleute zu mobilisieren. Der Arzt, dem dieses Kapitel natur- gemäß äußerst peinlich war, hatte sich immer wieder dahinter verschanzt, daß er keine Beweise für die Mißhandlungen in Händen habe, obwohl er die blutig geschlagenen Rücken der Häftlinge nur allzuoft sehen mußte. Darauf hatte Kliemann zu ihm in seiner steilen Art gesagt,„wenn Sie jemanden brauchen, der Ihnen ein Protokoll verantwortet, werde ich Ihnen nicht ein Protokoll, sondern eine ganze Anzahl vorlegen.” Der Arzt konnte nicht anders als darauf erwidern:„Wenn Sie mir die proto- kollarischen Unterlagen zur Verfügung stellen, werde ich natürlich ein- schreiten,” Kliemann hat darauf bei jeder ihm bekannt werdenden Ge- fangenenmißhandlung— und die schwereren Fälle liefen ja alle durch das Krankenrevier— eine Niederschrift mit Tag, Stunde, genauer Be- schreibung des Vorfalles und Namensangabe des Mißhandelten und des schuldigen Wachmannes verfaßt und mit seinem Namen unterschrieben. Bei seinem nächsten Besuch erhielt der deutsche Arzt einen ganzen Stoß solcher Protokolle und konnte nun, ohne sich selbst irgendwie zu gefähr- den, den Kommandanten nachdrücklichst ersuchen, doch diesen Vor- fällen seine besondere Aufmerksamkeit zuzuwenden und zur Vermeidung weiterer Wiederholungen die betreffenden Wachleute nachdrücklichst zu bestrafen, Der Kommandant kochte, die Wachleute kochten, doch an den ehemaligen SA.-Brigadeführer hat sich tatsächlich niemand von ihnen herangetraut. Die Gefangenenmißhandlungen hörten zwar nicht auf— das war in Farge ganz unmöglich— aber sie ließen doch etwas nach und sie wurden jedenfalls nicht mehr so öffentlich, sondern mehr irgendwo im stillen Winkel verübt, da die Wachleute genau wußten, daß der„ver-
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