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worden, Nach Verbüßung härtester Arreststrafen war er immer wieder Kalfaktor geworden, SeinelTätigkeit bestand darin, daß er, wenn im Lager eine bestimmte Anzahl seiner Landsleute gebraucht wurde, die- selben promptestens, wenn auch unter fürchterlicher Schreierei und schlimmsten Flüchen in der Russenbaracke aufsammelte und heran- schleifte. Im übrigen lief er mit seiner roten Vorarbeiterbinde am Arm auf seinen unwahrscheinlich langen Beinen, die aussahen wie Sieben- meilenstiefel, im Lager herum und schrie in diesen Winkel und jene Ba- racke von Zeit zu Zeit unvermittelt ein paar Worte seiner uns allen unverständlichen Sprache. Es war möglich, daß er dann die Faulheit oder eine sonstige Unordnung seiner Landsleute tadelte, wahrschein- licher aber war, daß er bloß den Anschein eines besonderen Eifers vortäuschen wollte und so etwas wie dasRhabarber, Rhabarber einer aufgeregten Theatervolksmasse schrie oder gar seine Kameraden vor dem Herannahen eines gefährlichen Wachmanns warnte oder ihnen viel- leicht einen auf geheimen Wegen erfahrenen Sieg der russischen Waffen oder eine andere für sie interessante Neuigkeit mitteilte, Er stand in dem Rufe, in der Gegend etwa ein Dutzend Geliebte unter den Ost- arbeiterinnen zu haben, Mit der Unterstützung des schöneren Ge- schlechts gelang ihm auch immer wieder der Ausbruch. Zu unserer Zeit entfloh er das sechstemal und ward zunächst nicht wieder ergriffen, Eines Abends kam unser liebereicher Wachtmeister von einer seiner Casanovafahrten nach Bremen zurück und sah in der Dämmerung zu Vegesack auf dem Bahnsteig in elegantem Zivilanzug eine für ihn den- noch unverkennbare, überlange Gestalt, Geistesgegenwärtig riß der Däne seinen schweren Revolver aus der Tasche und zwang den Russen, ehe der eine Waffe ziehen konnte, mit dem Gruß:Guten Abend, Susulla, die Hände hoch!, sich zu ergeben. Er fand bei ihm ein Dolchmesser und einen Schlagring. Schwer gefesselt brachte er ihn im Triumph ins Lager. Susulla wurde in der Arrestzelle krumm geschlossen, Doch nach drei Tagen war er wieder Kalfaktor. Er war in Farge als solcher schlechterdings nicht zu entbehren.

g) Hauptmann von Köpenick II

Im Dritten Reiche war alles größer, als es im bismarckisch-wilhelmini- schen Staat gewesen war: von der Beredsamkeit der leitenden Staats- männer abgesehen aber nicht nur die neuerrichteten Straßen und öffent- lichen Gebäude, sondern u, a, auch die Geschichte vom Hauptmann von Köpenick, die sich im Nazistaat in grotesker Vergrößerung und Über- steigerung wiederholte, Der historische Hauptmann von Köpenick IL, der als einfacher Schuster in einem märkischen Städtchen einmal einen Tag lang in der Hauptmannsuniform das Militär in Angst und Schrecken und die Behörden in tiefsten Respekt versetzt hatte, war ein Waisenknabe gegen den Hauptmann von Köpenick II gewesen, der es verstand, in der Großstadt Bremen , der zweitgrößten Hafenstadt des Deutschen Reiches, fast zweieinhalb Jahre lang in der Uniform eines SS.-Haupt- sturmführers alsSonderbeauftragter für den Luftschutzbunkerbau in

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