Tatsachen sprachen eindeutig für das letztere, die Eröfinungen, die man uns bei unserer ‚Einberufung gemacht hatte und der ganze offizielle Zweck unsererAkiion für das erstere, Ebenso wie man sich trotz aller Zweifel dafür entschieden hatte, unsgleichsam als Deutsche zu be- handeln, so wurden wir, da den Tatsachen Rechnung getragen werden mußte, obwohl wir an sich keine Gefangenen waren,gleichsam als Häftlinge angesehen. Die sich hieraus ergebende fernere Frage, ob wir, da Kriminalität bei uns ausschied, nun politische oder Arbeitshäftlinge, wenn das letztere auch nicht in dem sonst in Farge üblichen Sinne, seien, war noch erheblich schwerer zu entscheiden und ist niemals geklärt worden. Es war schon so, daß das Dritte Reich, das uns unser Vater- land genommen hatte, uns noch nicht einmal unter seinen Gefangenen einen klar umgrenzten Platz zuzuweisen wußte, Diese Fragen halten für viele unserer Schicksalsgenossen nicht nur theoretische Bedeutung, son- dern ein sehr bitteres praktisches Gewicht. Die Gefangenen in Farge er- hielten keinerlei Arbeitslohn und ihre Familien hatten auch keinen An- spruch auf eine irgendwie gearteie Unterstützung aus den staatlichen Kassen. Bei einem großen Teile von uns handelte es sich um Arbeiter und Angestellte, die über keine beträchtlichen Ersparnisse verfügten und die schon von der zweiten Woche unseres Aufenthaltes ab mit ernster Sorge an das Schicksal ihrer Familien denken mußten. Auch wir Imis haben in Farge keinerlei Arbeitslohn erhalten und sind auch insofern zum mindestengleichsam als Häftlinge behandelt worden. Die Fami- lien meiner Schicksalsgenossen, die ihren Lebensunterhalt nicht aus eigenen Mitteln bestreiten konnten, mußten sich an die NSV, wenden, wo sie aber praktisch nur unter den größten Schwierigkeiten eine mehr als karge Unterstützung erhalten konnten. Die NSV. als nationalsoziali- stische Einrichtung half den Familien unserer Schicksalsgenossenschaft höchstens dann, wenn ein äußerster Notstand nachgewiesen werden konnte und auch in solchem Falle keineswegs zuverlässig oder auch nur einigermaßen ausreichend, Gerade im Hinblick auf diesen Sachverhalt ist auch unsere Schicksalsgenossenschaft keineswegs nur Zuschauer oder vorübergehender Gast, sondern Teilhaber an dem europäischen Unglück von Farge gewesen.

Unserem besonderen Schicksal am nächsten stand ein Angehöriger des französischen Volkes, Er war Rennfahrer von Beruf gewesen und er erschien noch ganz wie ein solcher aussehend, schnittig und patent ge- kleidet, eines Tages in Farge , nachdem er in einem Ausländerlager bei Bremen als Autoschlosser gearbeitet hatte. Er war völlig fassungslos, hielt seine Verhaftung für einen fatalen Irrtum und wandte sich alsbald hilfesuchend an mich. Er erzählte folgende Geschichte: Er habe eine Bremer junge Dame kennen und lieben gelernt, die Halbjüdin sei. Da er run allerhand von den merkwürdigen Gesetzen des Dritten Reiches ver- nommen habe, sei er so vorsichtig und korrekt gewesen, sich zu der für ihn zuständigen Polizeiwache zu begeben und dort Nachfrage zu halten, ob irgendwelche Bedenken dagegen beständen, daß er sich mit der be- treffenden Bremerin verlobe. Der herbeigerufene Polizeileutnant habe

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