von
sion” gemacht hatten. Diese Erfahrungen trafen zwar insofern bei uns nicht ganz zu, als wir nicht so unvorbereitet wie der erste Schub plötz- lich aus unserem früheren Leben herausgerissen worden waren, aber unser Eintritt in das Lager war doch derart gewesen, daß unsere an so etwas noch nicht gewöhnten Nerven einen gewissen Stoß erhalten hatten, Wir setzten uns daher dankbar auf die uns angebotenen Holz- schemel, die an zwei rohgezimmerten Tischen standen, während sich die übrigen Bewohner der Stube daran machten, die Strohsäcke auf den freien, nun für uns bestimmten Betten in Ordnung zu bringen, In der Stube, welche die Größe eines der mittleren Zimmer meines Privat- hauses hatte, standen„nur“ 16 Betten, nämlich 5 schlafwagenartig über- einander angeordnete hölzerne Bettstellen zu je 3 Betten und für C., der auch hier etwas Besonderes hatte, ein alleinstehendes eisernes Feld- bett, das sogar Matratzen und Bettbezug aufwies, während in den übri- gen Stuben, die auch nicht größer als die unsere waren, 30 bis sogar 40 Schlafstellen, ebenfalls in der Form von übereinander angeordneten Dreifachbetten, aufgeschlagen waren,
Wir wurden von den bisherigen Stubenbewohnern mit der Wiß- begierde, die von dem gewöhnlichen Nachrichtenverkehr mehr oder weniger abgeschlossene Lagerinsassen kennzeichnet, nach der Lage in Bremen , besonders nach den Wirkungen des letzten gewaltigen Luft-
den ganzen nächtlichen Horizont entzündet hatte, wahrgenommen worden war, Dann aber mußten wir auch von unserem Schicksal erzählen, das, wie ich schon früher wiederholt erfahren hatte, für Außenstehende stets einen besonderen Reiz besaß, der offenbar im wesentlichen darauf beruhte, daß uns zwar persönlich nichts vorzuwerfen war, daß wir aber, wie das in dem allerdings von den Juden herrührenden Alten Testament steht, für eine angebliche Schuld unserer Vorfahren büßen mußten, C. beendigte die Erörterung dadurch, daß er zu mir gewandt mit einer Handbewegung sagte:„Ihre Cöte muß sich damit abfinden, daß sie in diesem Staate als von Geburt an vorbestraft gilt.” Einer unserer Schick- salsgenossen, der Arier war und seine Teilnahme an unserem Abenteuer seiner jüdischen Frau zuzuschreiben hatte, meinte, er sei eigentlich inso- fern deswegen besser daran als seine halbjüdischen Kameraden, weil er sich sagen könne, daß er für eine eigene Handlung, nämlich dafür, daß er, lange elie es einen Nationalsozialismus gab, sich eine Jüdin zur Frau gewählt habe, jetzt eintreten müsse, während wir noch nicht ein- mal das befriedigende Bewußtsein hätten, für alles, was mit uns ge- schehe, eine eigene Verantwortung zu tragen, da wir, genau gesagt, eigentlich nicht erst von der Geburt an, sondern bereits von unserer Erzeugung ab, also schon als Embryonen vorbestraft gewesen seien.
Es entstand darauf eine allgemeine Heiterkeit und C. meinte, nun sei es ja wohl so weit, daß wir den ersten Schock überwunden hätten, es sei schon spät in der Nacht, der„Arbeitstag— er sprach dieses Wort mit einem besonderen Lächeln aus— fange in Farge manchmal recht früh an und es sei daher geraten, zu Bett zu gehen und wenigstens den
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