mals zum Schutze des Reisepublikums der erste Personenwagen, der hinter der Maschine fuhr, leer gefahren, um Verletzungen der Passagiere durch Maschinengewehrgeschosse und Sprengstücke möglichst zu ver-

hindern. Ein solcher Schutzwagen war infolgedessen das gegebene Trans-

portmittel für Menschen unserer Herkunft, Ein pflichttreuer Eisenbahn - beamter, der gesehen hatte, daß wir in den Schutzwagen einstiegen, eilte herbei und rief, der Wagen müsse frei bleiben. Unsere Polizeimannschaft erklärte darauf, sie hätten den ausdrücklichen Befehl, uns in diesem be- stimmten Waggon zu transportieren, Der Bahnbeamte ging darauf kopf- schüttelnd und achselzuckend davon, Die Polizisten, die als S,S,-Leute ihr wertvolles Leben im Gegensatz zu uns minderwertigen Exi- stenzen besonders sichern mußten, fuhren in einem der hinteren Wagen, Bevor sie die Türen des Schutzwagens abschlossen denn auch das gehörte natürlich zu einem Transport vonHäftlingen begann noch eine Aktion, die wir in der Folgezeit immer wieder durchmachen mußten; Wir wurden nämlich gezählt. Hierbei stellte sich heraus, daß die beiden volksdeutschen Polizisten, die aus Rumänien stammten und daher be- sonders geeignet waren, uns zum größten Teil aus alten deutschen Fami- lien stammende Reichsdeutschen zu bewachen, sich nicht nur auf die deutsche Sprache, sondern auch auf die deutschen Zahlen sehr wenig verstanden oder überhaupt das Zählen, vom Kopfrechnen ganz zu schwei- gen, auf der Schule sehr schlecht gelernt hatten. Wir waren 32 an der Zahl oder sollten es wenigstens sein, Trotz eifrigen Hin- und Herzählens der beiden Polizeimänner war diese Zahl aber nicht zu erreichen, Immer waren es weniger, einmal sogar auch mehr, Schließlich blieb es immer wieder bei 31 Mann, Einer fehlte unabänderlich und es wurde schließlich zur amtlichen Notiz genommen, daß ein Mann unwahrscheinlicherweise davongelaufen sei, Erst an unserem Reiseziel klärte sich die Sache auf, Unser Schicksalsgenosse Ehlers, der uns später mit seiner Neigung, immer eigene Wege zu gehen, große Sorgen gemacht hat, hatte seine hervor- stechendste Charaktereigenschaft bereits hier zum Beginne unserer Fahrt betätigt: Er besaß von früheren Geschäftsreisen her eine Netz- karte und hatte sich mit dieser seelenruhig in ein Abteil 2, Klasse gesetzt.

Als wir, ohne daß ein Flugzeugangriff auf den Zug und speziell auf unseren Schutzwagen erfolgt war, in Vegesack umstiegen, war der kurze Tag es war der 30, Oktober schon zu Ende, Der Bahnhof, den ein Durch- einander von Transporten und hin- und herfahrenden Zügen belebte, war bereits ganz dunkel, Es erfüllte sich hier für mich ein alter Traum, über den ich früher einmal gelächelt hatte: Ich hatte nämlich eines Nachts die Vision gehabt, ich müsse auf dem kleinen Bahnhof Vegesack , der mir aber im Schlaf den Eindruck eines von Zügen und Aufregung durch- brausten Großstadtbahnhofs gemacht hatte, am Beginne einer großen Reise umsteigen,

In dem Zug nach Farge mußte der größte Teil unseresTransportes in den völlig dunklen Gepäckwagen, Ein kleiner Teil von uns fand noch in einem Personenabteil Platz, aber, wie sich bald herausstellte, nicht zu seinem Glücke, Der Zug war überfüllt mit Ausländertransporten, vor

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