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handelt und im Schnellverfahren alle drei zum Tode verurteilt. Besonders tragisch war dabei, daß zu eben dieser Zeit der jüngere Bruder Werner der Geschwister Scholl von der russischen Front auf Urlaub nach Ulm gekommen war und nebst seinen Eltern die beiden Geschwister in München besuchen wollte. Am Münchener Bahnhof erfuhren die Ahnungslosen, daß schon die Verhandlung vor dem Volksgerichtshof unter dem Vorsitz des Präsidenten Freisler- Berlin begonnen habe. Dort mußten sie das Todesurteil der beiden und des Freundes Christoph Probst erfahren. Es blieb ihnen gerade noch Zeit, ihre Kinder im Gefängnis Stadelheim , wohin man sie zur Urteilsvollstreckung geschafft hatte, aufzusuchen und zu sprechen ohne wiederum zu ahnen, daß die beiden bereits in einer Stunde nicht mehr unter den Lebenden weilen würden!
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Nur die eine Stunde verblieb ihnen und dem mitverurteilten Probst, um ihre Angelegenheiten zu ordnen und sich zum letzten Gang vorzubereiten. Christoph Probst , der ungetauft war, ließ sich noch in dieser letzten Stunde von dem katholischen Gefängnisgeistlichen taufen und die Sterbesakramente reichen. Ich selbst war fernmündlich und eiligst zu den Geschwistern Scholl gerufen worden. Bebenden Herzens betrat ich die Zelle des mir völlig unbekannten Hans Scholl -- wie sollte ich ihm in dieser allzu kurz bemessenen Frist seelsorgerlich so nahe kommen, daß ich ihn und seine Schwester richtig zu diesem furchtbaren Ende bereitete? Welches Schriftwort mochte gerade ihr Herz in dieser Situation am besten ergreifen und festigen zu ihrem letzten Gang? Aber Hans Scholl enthob mich aller Zweifel und Sorge. Nach kurzem Gruß und festem Händedruck bat er mich, ihm zwei Bibelabschnitte vorzulesen: das ,, Hohelied der Liebe" aus 1. Korinther Kapitel 13 und den 90. Psalm: ,, Herr Gott, du bist unsere Zuflucht für und für. Ehe denn die Berge wurden und die Erde und die Welt geschaffen wurden, bist du, Gott, von Ewigkeit zu Ewigkeit. Der du die Menschen lässest sterben und sprichst: Kommt wieder Menschenkinder! Denn tausend Jahre sind vor dir wie der Tag, der gestern vergangen ist, und wie eine Nachtwache..." Ich las zunächst mit Hans laut dieses ,, Gebet Moses , des Mannes Gottes", wie die Überschrift des 90. Psalmes in der Lutherbibel lautet, mit dem abschließenden Flehen ,, Herr, lehre uns bedenken, daß wir sterben müssen, auf daß wir klug werden! Herr, kehre dich doch wieder zu uns und sei deinen Knechten gnädig... Erfreue uns nun wieder, nachdem du uns so lange
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