siert. Sie gingen zuletzt so dreist vor, daß sie in den Geschäftsräumen hinter den verdunkelten Fenstern bei strahlendem Lichte ihre Orgien feierten, große Gelage abhielten und Tanzereien veranstalteten und nur der Umstand, daß eine der Dirnen auf eine andere eifersüchtig war und das ganze zur Anzeige brachte, machte diesem Tun ein Ende.

Auch die Feldpostpäckchen-Marder schossen wie Pilze empor. Es fehlte bei den Postämtern ebenfalls an dem geschulten, verantwortungs- bewußten Personal. Unzählige Männer und Frauen wurden für den Postdienst kriegsverpflichtet, und manche von ihnen benutzten die man- gelnde Aufsicht und stahlen den draußenstehenden Soldaten die Päck- chen, deren Inhalt sich die Angehörigen vom Munde abgespart hatten. Weniger gravierend erscheint es, wenn Pakete, die von derFront kamen, verschwanden. Da trug z. B. eine dienstverpflichtete Postbotin ein Paket nach dem andern zu einer Kriegersfrau, deren Mann im be- setzten Frankreich stand und unentwegt die herrlichsten Dinge in die Heimat sandte: Stoffe, Schokolade, Kaffee, Seifen, Parfüms und dgl., die doch kaum alle redlich erworben waren. Und so vergriff sich die Postbotin auch einmal an solch begehrenswerten Artikeln.... Oder es befand sich im Postamt ein großer Korb, worin unbestellbare, weil völlig beschädigte Feldpostpäckchen aufgestapelt wurden. Ein seit Jahrzehnten tätiger unbescholtener Beamter, in dessen Vorzimmer solch ein Korb stand, entnahm davon einige aufgerissene, mit unleserlicher Anschrift versehene Tabakpäckchen und wurde deswegen geköpft! Eine empfindliche Strafe und dazu Degradierung dieses Mannes hätten sicher auch genügt..... Noch sehe ich ihn vor mir sitzen in der Armensünder- zelle, den Geflügeldieb, klein, schmächtig, mit Tränen in den Augen. Er hatte seinen schlecht bezahlten Arbeitsplatz viele Kilometer fern von seinem Wohnsitz und kam nur über Sonntag mit der Eisenbahn nach Hause. Sonst mußte er einen für ihn kostspieligen Doppelhaushalt führen. Daheim waren fünf oder sechs Kinder im Alter von ein bis fünfzehn Jahren. Weil er vorbestraft und der Partei politisch verdäch- tigt war, bekam die Familie keine Unterstützung, so daß er noch in seinem Abschiedsbrief schrieb:Alles, weswegen ich jetzt die harte Strafe büßen muß, habe ich Euch zu Hause, um Euere Not zu lindern,

getan. Denn Ihr wißt, daß uns niemals aus der wirtschaftlichen Not

geholfen wurde, wie wir uns bei der NSV. und Winterhilfe bemüht und um nur kleine Notunterstützung beworben haben und immer abge- wiesen wurden. Not kennt kein Gebot, und so trieb mich die Not, meiner

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