ihnen die Zensur der Briefe genommen und der Zutritt zu den Zellen ohne Begleitung durch Beamte untersagt, doch fanden sich auch hier immer wieder Mittel und Wege, diese Maßnahmen, wenn auch unter entsprechendem Risiko, zu umgehen: in Stadelheim war es bis zuletzt den Gefängnisseelsorgern möglich, die Zellen allein zu besuchen und religiöses Schrifttum unbehelligt zu verteilen. Wie diese Seelsorge ge- handhabt wurde und welchen Widerhall sie fand, sollen wenigstens einige Proben aus Briefen ehemaliger Häftlinge zeigen.
Ein politisch verfolgter Doktor der Volkswirtschaft, der übrigens aus der Kirche ausgetreten war und deshalb als unvoreingenommen gelten kann, schreibt 1939 folgende Zeilen aus seiner mecklenbur- gischen Heimat:
„Während meiner 17-monatlichen Untersuchungshaft im Straf- gefängnis München-Stadelheim äußerte eines Sonntagmorgens beim Kirchgang ein wegen seiner Korrektheit allgemein geschätzter Ober- wachtmeister uns gegenüber: wenn es nach ihm ginge, wäre der sonn- tägige Kirchgang für die Gefangenen schon längst abgeschafft, denn die Gefangenen gingen ja doch nur zur Kirche,„um zu schmuggeln und Unsinn zu treiben‘. Derartige Meinungen, die auch mit anderen Begründungen gelegentlich zu hören sind, haben mich bewogen, Ihnen als dem evangelischen Seelsorger des Strafgefängnisses München-Sta- delheim zugleich als ein kleines Zeichen von Dankbarkeit ein paar Worte zu schreiben, die Ihnen zeigen sollen, daß es auch Gefangene gibt— und ich kann wohl sagen, unter der harten Sprache jener Um- gebung stehen sie nicht vereinzelt— die keineswegs ‚des Schmuggelns und Unsinntreibens wegen“ an Ihrem Gottesdienst teilnahmen, sondern ihn notwendig hatten als eine Sammlung, Stärkung, ja für deren letzte, tiefste Gründe ich nicht die rechten Worte finden kann.
Nach einem uralten Gesetz, das bis auf den heutigen Tag einen Groß- teil der Welt beherrscht, gehören 6 Tage der Woche vornehmlich dem Kampf des Menschen um das Sein, um das äußere Leben. Doch ein Tag gilt der Ruhe und zugleich der Besinnung, dem inneren Leben. Gewiß, draußen im täglichen Leben genau wie im Gefängnis gibt es wohl allenthalben Menschen, die diesen Tag„zum Schmuggeln und Unsinn- treiben‘ benutzen möchten. Aber sind denn alle Menschen von dieser Art? Ist es denn ganz unbekannt, daß es auch Menschen gibt, denen ein inneres Besinnen zum mindesten genau so lebensnotwendig erscheint als das tägliche Brot, die gemeinsam die Kniee beugen möchten vor
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