nicht nur Wochen und Monate, sondern jahrelang ertragen mußten.
Hunderte von Fällen und mehr haben bewiesen, daß ausgesprochene Geistesarbeiter, die das Leben nur von der theoretischen Seite kennengelernt hatten, zu einem großen Teil in der rauhen, brutalen Praxis versagten. Sie mußten versagen, weil sie außer der Beherrschung ihrer theoretischen Probleme auf allen praktischen Gebieten vollkommen unselbständig waren. Schon nach kurzer Zeit zeigte sich bei einem nicht unbeträchtlichen Teil von ihnen ein außergewöhnlicher Verlust an Energie und Willenskraft. In moralischer und hygienischer Beziehung ließen sie sich gehen und verloren die Herrschaft über sich selbst. Diese Menschen waren schon nach einigen Wochen nicht wiederzuerkennen, weder in ihrer Haltung noch in ihren Handlungen. Nur wenige hätten in ihnen noch den früheren Herrn Doktor, Studienrat, Philosophen oder irgendeine andere große Kapazität auf geistigem Gebiete wiedererkannt. Sie machten nur noch den Eindruck von hilflosen und bemitleidenswerten Menschen. Jeder dachte nur an sich selbst. Jeder einzelne war in erster Linie auf seine persönliche Erhaltung und Rettung bedacht. Nur wenige handeln auch in solchen Situationen solidarisch. Den Menschen der Praxis, die schon manchen Kampf mit der rauhen Wirklichkeit bezwungen hatten, setzten die anormalen Verhältnisse des Konzentrationslagers wohl auch schwer zu, sie zeigten sich jedoch in einem viel größeren Maße der außergewöhnlichen Verhältnisse der Läger gewachsen.
Wessen ein Mensch fähig ist, in dem Versuch, sein Leben auch unter den schwierigsten Bedingungen zu erhalten, haben uns die Vorkommnisse im Lager überhaupt und im sog. ,, kleinen Lager" im besonderen bewiesen.
Stelle dir vor, du wirst als Zugang dem ,, kleinen Lager" zugeteilt. Mit rund 1500 bis 2000 Menschen wirst du in eine Holzbaracke hineingepfercht. In kürzester Zeit wird die Luft unerträglich. Mensch an Mensch steht dicht an
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