Schicksal schlug, verlor nach und nach an Stärke und Gewicht. Aber Augenblicke kamen noch, wo sie meinte, den nächsten Tag nicht zu überleben. Das waren die Stunden des Nachts, wenn sie nicht schlafen konnte. Dann tauchte Sonjas süßes Gesicht vor ihr auf.‘Sie durchlebte die kurze, hoffnungsvolle Spanne dieses jungen Lebens in wechselvoller Gestalt.
Als Frau Lupiskaja zum ersten Male das Beit ver- lassen durfte, waren Monate nach dem Tode Sonjas verstrichen. Wie eine Nachtwandlerin bewegte sie sich anfänglich, und dann trat der Umschwung ein.
Sie sah das Leid der anderen, erlebte Tragödien in noch größerem Ausmaß als die ihrige, und in ihr reifte der Entschluß, nicht zurückzukehren in den Trubel des Bodenraumes, sondern hier in dem Hohenelbe-Kranken- haus künftig zu bleiben. Sie fragte den Chefarzt Dr. Gut- mann, der nach der Beschlagnahme der Sudetenkaserne dieses Krankenhaus leitete, und wurde danach als Hilfs- schwester in den Verband des Gesundheitswesens auf- genommen.
Nun kamen Monate schwerster Arbeit, in denen Frau Lupiskaja die Hände so voll zu tun hatte, daß weder Zeit zum Nachdenken noch zur Trauer blieb. Der Dienst in den Krankenstuben erforderte eiserne Willenskraft, Energie und Zurücksetzung eigener Wünsche.
Auch die Arbeit wuchs täglich zusehends.
Ihr Körper hielt die Zeit der Entbehrungen und Nacht- wachen wirklich durch. Sie hatte trotz ihrer Krankheit noch Reserven zu vergeben. Nun blieb für sie nur noch die Erfüllung dieser selbsterwählten Pflicht, das Leid, das sie umgab, zu lindern. Es beruhigte ihr eigenes.
Dabei wurde sie die unentbehrliche Hilfe Dr. Gut- manns.
Sie wurde das, was sie künftig vorstellte: Schwester Irina.
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Monate vergingen———.
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