Endlich hielt es Kitty nicht mehr aus und ging trotz des Verbotes zur Turmgasse. Dort erfuhr sie die Kunde von Sonjas Ende.
Es war unsagbar schwer, an die Wahrheit der er- schütternden Nachricht zu glauben, daß das blühende, sonnige Leben der kleinen Sonja ausgelöscht sei. Es war noch kein halbes Jahr vergangen seit ihrer Freundin Helgas Tod, und schon wieder lag ein junges Menschen- leben auf der Bahre.
Woher soll die arme Mutter nur die Kraft nehmen, einen solchen Schicksalsschlag zu ertragen?
Noch am gleichen Tage eilte Kitty zu dem Hohenelbe- Krankenhaus, wo Frau Lupiskaja lag. Die Schwester kam heraus und bedauerte im Interesse der Kranken, sie nicht vorlassen zu können, doch ihre Grüße wolle sie gern ausrichten.„Übrigens“, setzte sie noch hinzu,„ist die Kranke gar nicht fähig, Sie zu empfangen. Sie hat hohes Fieber!“
Mit tiefer Trauer im Herzen stieg Kitty die Treppe des Krankenhauses hinab.
Langsam versuchte Frau Lupiskaja ins Leben zurück- zukehren.
Schwere Krisen müßten durchfochten werden, endlich erlangten Körper und Geist wieder das normale Gleich- gewicht.
Das erste Erwachen war natürlich furchtbar, und Ärzte sowie Schwestern hatten ihre liebe Not, die unglückliche Mutter zu beruhigen.
Aber wenn der Schmerz gar zu heftig wurde, fuhr eine gütige Hand über Stirn und Wangen, und eine beruhigende Stimme glättete die Wogen der Aufregung. Unter dieser Wirkung schlief die Kranke dann wieder ein. In die Wirrnis ihrer Gedanken kam langsam Ord- nung.
Die Gegenstände des Raumes traten hervor, und auch die Menschen, mit denen sie zusammen lag, rückten in ihren Gesichtskreis und wurden ihr nach und nach ver- traut. Das Leid der schweren Herzenswunde, die ihr das
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