wollte nicht gesunden. Eine Angst ohne gleichen trieb ihr eine Kälte durch die Glieder. Immer wieder betrach­tete sie das kleine Gesicht ihrer Sonja.

Sie wagte nicht, das Lockenhaar zu streicheln.

So fein und blond war auch das Haar ihres Mannes gewesen, der sie leider beide viel zu früh schutzlos in dem ungastlichen Deutschland allein gelassen hatte. Er war Arier und hatte daher Sonja und sie vor der Ge­ stapo geschützt.

Sie saß und grübelte.

Hatte sie recht gehandelt, Sonja als Jüdin zu erklären, nur um im Besitz ihres Kindes zu bleiben. Hatte sie sie nicht dadurch der Gefahr der Gefangenschaft ausge­liefert?

Sie vergrub ihr Gesicht in den Händen. Wie schwer war es doch, das Richtige im Leben zu treffen.

Alter ist sie geworden, sieht anders aus als sonst. Und doch nennt man sie immer noch allgemein die schöne Russin.

So still war es, niemand störte sie im Denken. Sie hatte das Fieberthermometer hervorgeholt, sah auf die Säule. Mein Gott, 38,9 am frühen Morgen?

Was sollte sie tun? Sie sah wieder auf ihr Kind. Plötzlich taten sich Sonjas Augen groß auf. Das Blau leuchtete im Fieber und ein Lächeln umspielte den Mund. ,, Mutti!"

,, Ich bin bei dir, Kind."

,, Mutti, laß mich aufstehen. Mir geht es viel besser." ,, Unsinn, du hast ja noch Fieber. Das geht nicht!" ,, Ich habe so schön geträumt

vom Vater Darf ich nicht versuchen aufzustehen? Wann darf ich's denn?"

,, Morgen, mein Liebling, wenn du fieberfrei bist." Frau Lupiskaja öffnete die Thermosflasche und go Tee in eine Tasse, die sie der Kranken reichte.

,, Trinke , mein Herzblatt. Der Tee tut dir gut."

Gehorsam nahm Sonja einen Schluck, hielt aber gleich erschöpft inne. ,, Danke, Mutti! Komm' doch näher zu

284