,, Aber die Kinder, die alten Frauen, wo bleiben die? Na, wir werden es wohl nicht' rauskriegen."

In der Färberei glühten die Ofen.

Frau Sachse, die erste Arbeiterin und Färberin am Kessel, war heute nicht zugegen, stattdessen stand Kitty Bergner, die neue Arbeiterin, dort und rührte mit einem langen Stock die in der Farbe schwimmenden Zeugstücke um.

Frau Sachse und zwei andere Frauen des Betriebes hatten am gestrigen Tage von dem zweiten Ingenieur Weininger den Auftrag erhalten, sich in der Frühe um 7 Uhr einer größeren Gruppe Frauen anzuschließen, die im Hofe der Magdeburger Kaserne auf sie warteten, um Urnen fortzutragen. Für die geleistete Sonderarbeit würden sie eine Dose Leberpastete erhalten. Viele Frauen hatten sich dafür gemeldet, um diese hochwill­kommene Zusatzration zu der geringen Tagesmenge zu bekommen. Niemand wußte, um was es sich handelte.

Die Magdeburger Kaserne lag an der Hauptstraße und durch diese kamen gegen Mittag einige Mädchen und Frauen gelaufen. Sie hielten im Arm einen Gegenstand fest an die Brust gedrückt.

Ein breiter Menschenstrom folgte ihnen, denn sie schrien laut, während sie liefen. Da es Essenszeit war, füllte sich der ganze Hof mit Menschen, und die Arbeite­rinnen und Angestellten sämtlicher Betriebe traten in den Hof hinaus und wurden Zeugen des sich abspielen­den Vorfalles.

Plötzlich tauchten Ghettowachtmänner auf, die dräng­fen sich durch die Menge und versuchten zu den auf­geregten Frauen zu gelangen.

Es war ein unbeschreiblicher Tumult.

Sie waren jetzt bei den Frauen angelangt und riefen den Schreienden zu: Ihr Tollköpfe, wollt ihr auf die kleine Festung kommen? Paßt doch um Gotteswillen auf, daß euch kein SS - Offizier zu fassen kriegt. Dann seid ihr doch verloren!"

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