die Augen offenzuhalten. Gewöhnlich bestritt dann Lenchen die Kosten der Unterhaltung. Nur sonntags, wenn der Dienst eine Stunde frei gab, widmete sich Kitty Lenchen Böhme:

"

, Was hast du den Tag über gemacht? Bist du spazie­rengegangen oder einmal ins Kaffee, Lenchen?" ,, Nein, heute bin ich zu meinen Enkelkindern gegan­gen. Meine Schwiegertochter zieht übrigens hierher."

,, Das wird für dich eine große Freude sein, du hängst ja so sehr an deinen Enkelkindern. Diese Botschaft begrüße ich für dich ganz besonders, weil du dadurch eine größere Ablenkung hast."

,, Du bist aber sehr im Irrtum, Kitty. Meine Schwieger­tochter ist eifersüchtig und liebt die allzu große An­hänglichkeit der Enkelkinder gar nicht."

Wie Frau Böhme Kitty erzählt hatte, war ihre Schwie­gertochter zum zweitenmal verheiratet. Der Sohn Len­chens hatte sich erschossen und seine Mutter dadurch fast an den Rand des Grabes gebracht. Seit dieser Zeit hatte sich zwischen der Schwiegermutter und der Schwiegertochter eine Spannung ergeben, die auch die Zeit nicht wieder auslöschen konnte. Das war sehr tragisch und sollte der Anlaß sein, wodurch Lenchen Böhme vollkommen ihren Lebenstrieb verlor.

Wie gesagt, Kitty konnte sich mit dem besten Willen nicht allzuviel um Lenchen Böhme kümmern. Erst als sich die Krankheitszeichen des Typhus meldeten, spannte Kitty alle ihre Kräfte an, um auch noch diese schwere Aufgabe zu leisten. In der Folge eilte sie in ihrer Frei­zeit immer erst nach Hause, um zu sehen, wie es der Freundin ging. Es war doch zu seltsam, daß nun plötz­lich auch eine geringfügige Stelle am Bein, die niemand einer Beachtung wert hielt, zu eitern begann. Kitty selbst verband die Wunde und blieb eines Vormittags im Hause, um Lenchen zur Ambulanz zu geleiten, da sie als Schwester die Befugnis hatte, mit einer Kranken sofort in die Sprechstube zu gehen. Mit großer Sorge verfolgte Kitty das immer mehr sich entwickelnde Leiden der jetzt

7 Philipp, Die Todgeweihten

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