Was heißt überhaupt Ordnung? Der heilige Thomas beschreibt das Wesen der Ordnung mit den Worten: ,, Einheit in wohlgeglieder­ter Vielheit". Damit unterscheidet sich die Ordnung zunächst einmal von der Einerleiheit. Wo alles gleich ist, da kann von einer Ordnung nicht die Rede sein. Millionen Sandkörner mögen auf einen Haufen geschüttet sein; wo die einzelnen Körner zu liegen kommen, ist voll­kommen gleichgültig, weil sie eben alle einander gleich sind. Kein Mensch kann eine sinnvolle Ordnung in diesen Haufen hineinbringen. Die bloße Gleichheit und Einerleiheit reicht an den hohen Begriff der Ordnung nicht heran.

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Einheit in wohlgegliederter Vielheit" besagt aber nicht nur eine Mehrheit von Verschiedenem, sondern zugleich eine Gliederung, eine sinnvolle Gliederung dieser Vielheit. Daraus ergibt sich, daß der atomistische Individualismus und der dementsprechende Zentralis­mus ein Feind der Ordnung sind. Alles ist hier Masse, formlose Masse.

Der Ordnungsbegriff schließt also vier Komponenten in sich:

Das Prinzip der Einheit.

Das Prinzip der Verschiedenheit.

Das Prinzip der Vielheit.

Das Prinzip der Gliederung.

Dementsprechend ergeben sich nunmehr die Grundlagen der christ­

lichen Gesellschaftsordnung.

Einheitsprinzip ist hier das absolute, nicht irgend ein rela­tives Sein, ein relatives Gut. Es ist immer falsch, wenn man ein rela­tives Ding zum absoluten Maßstab macht.' Das ist der große Fehler des Nationalsozialismus gewesen, daß er das relative Gut von Nation und Staat zum absoluten Zentrum erhob. Den gleichen Fehler hatte aber auch der Liberalismus begangen, der das Individuum, den ein­zelnen Menschen, zum absoluten Maßstab gemacht hatte; und der Sozialismus erweist sich hier als folgsamer Sohn des Liberalismus, wenn er entweder in der Form des Kommunismus die Materie zum absoluten Zentrum dekretiert oder in der Form des modernen Sozia­lismus die Gesellschaft oder die Klasse der Proletarier auf den Thron èrhebt, von dem aus sie dann der ganzen Menschheit diktieren kann. Nein, nur einer ist der Herr, so lautet schon das erste Gebot; nur einer hat das Recht zu diktieren, der absolute Herr, der Schöpfer. Er ist Alpha und Omega, Anfang und Ende. Das gilt für das öffent­liche Leben genau so wie für das Privatleben, für das soziale Leben nicht minder wie für das individuelle Leben.

Wie Gott das Zentrum ist, so sehen wir, um im Bild des Kreises zu bleiben, an der Peripherie die Verschiedenheit der einzel­

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