Drittens: Wir sind zu weich, zu anständig, wir lieben den Kampf nicht. Wir möchten den Frieden ,,, unsere Ruhe". Das war unser Fehler 1921 bis 1933. Wir haben damals Hitler nicht ernst genommen. Viele hatten im stillen gehofft, Hitler würde jetzt den roten Terror mit braunem Terror brechen, und wir könnten uns zurückziehen in unser stilles Kämmerlein. Wir wollten wieder einmal den Teufel mit Beelzebub austreiben.

Es liegt eine merkwürdige Tragik über der Geschichte des politi­schen Katholizismus. Das gläubige Volk wird erst lebendig, wenn die Kirche angegriffen wird, vorher schläft es. So war es zur Zeit Bis­marcks. Die Katholiken hatten weithin die Weltpolitik Bismarcks geschluckt. Erst als Bismarck den Kulturkampf eröffnete und die Bischöfe und Priester verhaften ließ, wurden sie lebendig und haben gesiegt. Selbst ein Bismarck hat sich an der Kirche die Zähne ausgebissen.

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Auch den Kampf gegen den Nationalsozialismus nahm das Volk -- und nicht bloß das Volk solange nicht tragisch, als Hitler nicht offen die Kirche angriff. Als er dann gar 1933 ein Konkordat mit der Kirche abschloß, wurde er in weiten christlichen Kreisen als ungefähr­lich angesehen. Das war mir in meiner ersten Gefangenschaft 1933/34 die größte Sorge, der Gedanke, es könnte Hitler gelingen, selbst dem katholischen Volk Sand in die Augen zu streuen, Und das war meine größte Freude, als ich im Mai 1934 das Gefängnis verließ und fest­stellen konnte, die katholische Front steht wieder, Hitler ist erkannt. Hitler hat wohl das Konkordat geschlossen, aber er denkt nicht dar­an, es zu halten. Das wäre das größte Unglück für uns gewesen, wenn Hitler das Konkordat gehalten hätte. Dann wären die meisten Katho­liken geblendet worden. Das ist unser Fehler, daß wir den Irrtum immer erst erkennen, wenn die Kirche unmittelbar angegriffen wird, nicht aber schon vorher, wenn die christliche Gesellschaftsordnung, d. h. die Ordnung, die der Schöpfer in die Welt hineingelegt hat, mit Füßen getreten wird.

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Wir haben uns zu wenig um Politik gekümmert,- nicht zuviel, wie man uns oft vorwirft, und meist zu spät. So be­greifen, vielleicht auch die Sozialisten, warum sie von der Kirche immer heftiger angegriffen wurden als die Rechtskreise, obwohl der Sozialismus nicht mehr dem christlichen Geist widerspricht als der Kapitalismus . Aber der Kapitalismus hat die Kirche nicht angegriffen, wohl aber der Sozialismus; dadurch wurde der Kapitalismus so lange von der Kirche schonend behandelt. Unser Fehler war es, die letzten politischen und soziologischen Grundideen nicht rechtzeitig erkannt zu haben.

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