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hat in Bezug auf das bonum commune. Wir alle stecken noch tief drin im Individualismus, ohne es zu merken.
Das sind so einige desideria, die’ der Sozialphilosoph, um nicht zu sagen der Politiker, an die Theologie zu stellen hätte. Zweifellos sind verheißungsvolle Ansätze vorhanden. Es gilt jetzt nur weiterzu- bauen; die Not der Zeit drängt.
Aber auch das Beispiel der Päpste deutet darauf hin, daß wir vor einer Wende stehen. Von Pius IX. zu Pius XI. ist ein weiter Weg. Heuer sind es hundert Jahre, daß Pius IX. zum erstenmal in einer Enzyklika auf den Sozialismus zu sprechen kam. Damals hat er Sozialismus, Kommunismus, Anarchismus und Nihilismus in einen Topf geworfen und hundertprozentig verdammt. Das war der erste, ich möchte sagen instinktive Protest gegen den modernen Sozialis- mus, der im kommunistischen Manifest 1848 die Welt erbeben machte. Dazu kam-der alte Kampf der Kirche gegen den Liberalis- mus. Inzwischen hat sich vieles geändert, hüben und drüben. Auch der Sozialismus hat eine große Wandlung durchgemacht. Es ist ein weiter Weg von Karl Marx bis zu Kurt Schumacher . oder Wilhelm Högner . Dementsprechend hat sich auch die Stellung der Kirche zum -Sozialismus gewandelt. Leo XIH. war der erste, der 1891 in seiner großen Arbeiter-Enzyklika ein offenes Ja sagte zur modernen Arbei- terbewegung, wenn er auch mit Recht den Liberalismus und den So- 'zialismus als Irrwege verurteilte. Es war ein Ereignis von welt- geschichtlicher Bedeutung, daß der Papst als erster in der bürger- lichen Welt, wenn ich so sagen därf, die Berechtigung der Arbeiter- bewegung anerkannte. Pius XI. ging noch einen Schritt weiter. Er sprach ein offenes Nein zum modernen Kapitalismus in einer Schärfe, über die man sich weithin wunderte. Aber er sagte nicht bloß Nein zum Kapitalismus, er sprach auch ein Ja zu dem Gedanken einer Neuordnung der sozialen Welt. Er anerkannte also bis zu einem gewissen Grad die Kritik des Sozialismus an der bestehenden Ord- nung. Die Diagnose von Karl Marx war richtig, aber falsch war sein Weg. Pius XII. tat dann den letzten Schritt, indem er bei seiner An- sprache am 1. Juni 1941 zum fünfzigsten Jubiläum von„Rerum novarım“ auch die Sozialisierung innerhalb gewisser Grenzen und unter gewissen Voraussetzungen als möglich und tragbar erklärte. Damit sind alle Hindernisse beseitigt, die einer Verständigung zwi- schen der modernen Arbeiterbewegung und der katholischen Sozial- ordnung im Wege standen, natürlich immer unter der Voraussetzung, daß die unglückliche Ehe, die Karl Marx mit dem Freidenkertum einging, gelöst wird. Bedenken wir ferner, daß Pius XII. in seiner Weihnachtsbotschaft 1944 ein offenes Ja zur Demokratie gesagt hat, so sehen wir, wie aufgeschlossen das Papsttum den Problemen unse;
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