Was wir in den letzten Jahren erlebt haben, hat uns doch wohl allen gezeigt, daß auf diesem Gebiet noch lange nicht das letzte Wort gefunden ist. Man hat bisher gesagt, der Katholik muß jeder legalen Regierung Gehorsam und Achtung erweisen. Eine Regierung ist legal, wenn sie auf legalem Wege in den Besitz der Macht kommt. Eine illegale Opposition galt allgemein als unvereinbar mit dem christlichen Gewissen. Beweis: Röm 13. Hier gilt es nun neu einzusetzen. Es ergeben sich folgende Fragen:
Hängt die Legalität einer Regierung einzig und allein von der Legalität der Machtergreifung ab?
Kann eine legale Regierung nicht illegal werden, wenn sie gegen den Willen Gottes regiert, wenn sie das bonum commune verletzt? Und wenn eine legale Opposition verboten ist, kann es da nicht Pflicht sein, illegale Opposition zu machen, wenn die legale Regierung illegal handelt?
Ist Hitler überhaupt legal zur Regierung gekommen?
Was ist mit dem Fahneneid? Ist das ein Eid?
Was ist mit dem Beamteneid, wenn er einem aufgezwungen wird gegen seine Überzeugung?
Das alte Problem des Tyrannenmordes taucht wieder auf, und gar erst der Formalismus im vierten Gebot, die berühmte preußische Pflichtauffassung. Wenn ein Unteroffizier einem Soldaten den Befehl gibt, zehn unschuldige Frauen und Kinder zu erschießen, ist der Untergebene dazu verpflichtet im Gewissen? Darf er das überhaupt tun? Man hat in katholischen Moralbüchern manchmal lesen können, wenn der Befehl von einem rechtmäßigen Obern gegeben ist, dann braucht der Untergebene nicht erst untersuchen, ob der Inhalt des Befehls einwandfrei ist; ja, er darf es vielleicht gar nicht. Man hat uns das im Ausland übel genommen.
Ich habe als junger Priester, als ich in Berlin studierte und meinen Doktor ,, baute", mich viel mit französischer Literatur beschäftigen müssen. Da ist mir oft ein Satz aufgefallen, in dem den deutschen Katholiken zum Vorwurf gemacht wurde, daß sie sich von der preuBischen Gehorsamsauffassung und der Kant'schen Pflichtethik hätten verführen lassen. Ich habe das damals nicht verstanden. Heute verstehe ich es. Ist es nicht vielleicht doch so, wie einmal Förster schrieb: ,, Bismarck ist nach Canossa gegangen, und die deutschen Katholiken nach Potsdam ." Das alles sind schwere Fragen von großer Tragweite. Kann man diese Fragen überhaupt auf Grund des Evangeliums beantworten? Damit stehen wir vor einem zweiten großen Problem, das heute der Theologie aufgegeben ist. Ist es nicht vielleicht doch so, daß wir unter einem gewissen Einfluß des deutschen Protestantismus uns etwas zu einseitig auf den Standpunkt der Bibel stellten? Wir
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