nannten uns oft mit einem gewissen Stolz ,, Prediger des Evange­liums", aber wir sollten doch die ganze göttliche Offenbarung pre­digen.

Professor Schmaus hat recht, wenn er einmal schreibt: ,, Wir Prie­ster haben kein Recht, dem Volk auch nur eine einzige Wahrheit vor­zuenthalten, die uns geoffenbart ist." Es ist aber uralte katholische Auffassung, daß es eine zweifache Offenbarung gibt, eine natürliche Offenbarung, die sich vor allem im Naturrecht, in der sittlichen Welt­ordnung zeigt, und eine übernatürliche Offenbarung. Zu dieser letz­teren gehört aber nicht nur das Evangelium und nicht nur das Neue Testament, sondern auch das Alte Testament; ja noch mehr, die über­natürliche Offenbarung ist uns nicht nur schriftlich übergeben, son­dern auch, und sogar in erster Linie, mündlich, im Lehramt der Kirche. Praktisch genommen bedeutet das, daß die Verlautbarungen des kirchlichen Lehramts, und das sind in heutiger Zeit die päpst­lichen Weltrundschreiben, die päpstlichen Rundfunkansprachen und Rundfunkbotschaften, auch irgendwie zur göttlichen Offenbarung gehören. Gewiß, sie können nicht auf eine Stufe mit der Bibel und mit dem Naturrecht gestellt werden. Aber praktisch und faktisch sind sie der autoritative Weg, auf dem Gott zu den Menschen der Gegen­wart über die Probleme der Gegenwart spricht. Sind vielleicht doch bei uns von der goldenen Kette der Offenbarungen das Anfangsstück, das Naturrecht, und das Endglied, die päpstlichen Enzykliken, zu kurz gekommen? Wer kennt überhaupt die päpstlichen Enzykliken alle, die seit hundert Jahren ergangen sind? Wer hat sie überhaupt? Leider müssen wir feststellen, daß ein großer Teil von ihnen, nament­lich die letzten Rundfunkansprachen, noch gar nicht in deutscher Sprache erschienen sind. Pater Muckermann hat einmal gesagt, was uns abgeht, sind Lehrstühle an den Universitäten zur Exegese der päpstlichen Enzykliken. Erst dann, wenn wir die ganze Offenbarung überschauen und ausschöpfen, sind wir in der Lage, auf all die bren­nenden Fragen der Gegenwart eine Antwort zu geben, die allseits befriedigt.

Ein drittes Problem meldet sich heute ungestüm zum Wort. Es ist eigentlich gar kein Problem, es ist eine uralte katholische Weisheit, die aber vielfach in Vergessenheit geraten ist, und die uns vielleicht den Schlüssel geben könnte für die großen sozialen Probleme unse­rer Zeit. Das ist der Ordnungsgedanke. Mit Recht hat Hans Maier in seinem großen Werk über Thomas von Aquin den Gedan­ken des ordo in den Mittelpunkt des Thomismus gerückt. Auch Stein­büchel ist ihm darin gefolgt, und die moderne Wertphilosophie ver­langt geradezu den Ordnungsgedanken. Auch die päpstlichen Enzy­kliken, insbesondere Quadragesimo anno, fußen auf diesem Grund­

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