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eine unblutige Revolution geht vor sich in ganz großem Ausmaß, und zwar auf allen Gebieten. Ein geistiger Umbruch vollzieht sich, den ich kurz skizzieren möchte.

Auf dem Gebiet der Naturwissenschaft brauche ich bloẞ das Wort Atombombe nennen und Sie ahnen schon, was hier vor sich geht. Wenn nur die Hälfte von dem sich bewahrheitet, was die Natur­wissenschaftler uns in Aussicht stellen, dann wird die Atombombe ungeheure Umwälzungen auf allen Gebieten der Wissenschaft und der Technik, vor allem auch des Verkehrs, nach sich ziehen. Doch sei das hier nur kurz angedeutet.

Auf politischem Gebiet: Außenpolitisch und innenpolitisch geht eine Umstellung vor sich.

1. Außenpolitisch. Wir werden eine neue Landkarte bekommen mit ganz neuen Grenzen. Das ist nichts Neues. Das bringt jeder Krieg mit sich; aber neue Prinzipien werden heute in der Weltpolitik ver­folgt. Man will die Schwierigkeiten, die immer da sind und immer da sein werden, am Verhandlungstisch überwinden. Von den neun­undneunzig Staaten, die es heute gibt, haben sich einundfünfzig zu­sammengeschlossen in der sogenannten UNO , vier weitere sind bereits als Mitglieder aufgenommen worden. Man spricht von drei Weltmächten, die aber alle drei nicht in Europa liegen, nämlich Amerika , Großbritannien und Rußland . Europa ist ausgeschaltet. Man spricht von vier Alliierten, wozu auch Frankreich gehört. Man. spricht von den großen Fünf, wozu noch China gehört. Der Führer der deutschen Sozialdemokratie, Dr. Kurt Schumacher, hat in seiner großangelegten Rede zu Hannover am 12. Mai 1946 ein treffendes Wort gesagt: ,, Wir haben schlimme Probleme in Deutschland , aber das schlimmste ist das Siegerproblem, daß nämlich die Sieger in ihrer Politik keinen gemeinsamen Generalnenner haben. Wir sind zwar nur das Objekt der Neuregelung, aber wir melden heute an, daß wir dabei Subjekt sein wollen. Von allen Siegerkrankheiten ist die Sicher­heitskrankheit die schlimmste. Was soll werden, wenn sie uns jetzt vom Westen und vom Osten her gleichzeitig bedrängen? Ein Volk von Hungernden und Frierenden ist kein Sicherheitsfaktor, sondern ein Herd von Unruhe." Das Streben nach Sicherheit ist sicher berech­tigt, aber es darf nicht so weit gehen, daß man den anderen zuerst umbringt, lebensunfähig macht, damit die eigene Sicherheit nicht mehr bedroht wird. Das ist keine Lösung des Problems.

2. Innenpolitisch. Auch hier hat sich vieles geändert. Neue Par­teien sind entstanden mit neuen Namen, und auch unter den alten Namen wirken neue Grundsätze und neue Methoden. Man kann wohl von einer Auflockerung der Fronten sprechen. Es ist nicht mehr so wie früher, daß man in jedem politischen Gegner, der eine andere

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