Straßen, aber er war allein und einsam wie in einem einsamen Wald. Er hatte nicht das Gefühl, heute über die Maße seines bescheidenen Daseins, seiner beschei­denen Fähigkeiten und seines bescheidenen Lebens­zwecks hinausgewachsen zu sein. Es kam ihm nicht in den Sinn, daß er heute die Unerschrockenheit eines Hel­den an den Tag gelegt hatte. Er hätte geglaubt, daß man ihn verspotte, wenn man ihm gesagt hätte, daß er eine sehr schwere, sehr großen Mut erfordernde Auf­gabe gelöst habe. Aber es wurde ihm auf dem Heimweg bewußt, daß er heute seine alten Pflichten, die ihm eine schwere und geliebte Last gewesen waren, abgeworfen hatte, weil die neue, schwerere Pflicht es erforderte. Der Abschied von seinen alten Pflichten fiel ihm schwer. Er hatte jahrzehntelang geglaubt, die Erfüllung dieser Pflichten sei der Inhalt seines Lebens. Aber sein Leben gehörte nicht mehr ihm. Er hatte den Wert seines Le­bens nie hoch eingeschätzt. Er hatte nie über sich und den Wert seines Lebens nachgedacht, aber es war ihm immer klar gewesen, daß ein kleiner Beamter, der nur auf das Wohlergehen seiner Familie bedacht ist, den Wert seines Lebens nicht hoch einschätzen dürfe. Es gab unzählige kleine Beamte, die nur auf das Wohlergehen ihrer Familien bedacht waren. Jeder einzelne war ein unwichtiges Mitglied der menschlichen Gesellschaft, aber jeder einzelne hatte seine Daseinsberechtigung, solange er auf das Wohl seiner Familie bedacht war. Auch er, Josef Rada, hatte aus diesem Grund seine Daseinsbe­rechtigung gehabt. Heute hatte er aufgehört, auf das Wohl seiner Familie bedacht zu sein. Er war nicht mehr der Beschützer, sondern aller Voraussicht nach der Ver­derber seiner Familie. Wenn Edmund und Marie von den Henkersknechten ergriffen und hingerichtet wur­

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