1

Josef Rada, ein kleiner Beamter des Verkehrsministe­riums in Prag , verließ am Morgen des 15. März 1939 ahnungslos seine Wohnung und ging in sein Amt. Er hatte rosige Wangen und ernste, graublaue Augen. Die rosige Tönung seines bartlosen, runden Gesichts gab ihm ein jugendliches Aussehen, aber die ernsten, immer besorg­ten Augen, die von kleinen, scharfen, strahlenförmig sich ausbreitenden Fältchen umgeben waren, verrieten sein Alter. Er war zweiundfünfzig Jahre alt. Er ging langsam und vorsichtig. Vor acht Jahren hatte er sich als Beam­ter einer kleinen Station in Südböhmen beim Heben eines schweren Koffers einen Bruch zugezogen. Es hatte nicht zu seinen Amtspflichten gehört, Gepäckstücke zu heben; aber der einzige Gepäckträger des entlegenen Gebirgs­bahnhofs war ein älterer, kränklicher Mensch gewesen, und Rada hatte ihm die schwerste Arbeit abgenommen. Seit damals ging der einstige Sportliebhaber, der sich drei Jahrzehnte lang als Turner betätigt hatte, so lang­sam und vorsichtig wie ein Mann, der erst durch eine späte Erfahrung die Tücken, die dem menschlichen Kör­per innewohnen, kennengelernt hat.

Auf der Straße war nichts Ungewohntes zu sehen. Der Morgen war kalt, es schneite. Rada dachte an eine Tarif­tabelle, die er auszuarbeiten hatte. Er war ein tüchtiger Tariffachmann; zwar nur ein untergeordneter Hilfsbe­amter, weil er nie an einer Hochschule studiert hatte, aber in der Tarifabteilung des Verkehrsministeriums gab es nicht viele Kenner des Tarifwesens, die sich mit ihm messen konnten. Er stellte die kompliziertesten Tarif­tabellen zusammen, die sein Chef, der Abteilungsvor­stand, als sein eigenes Werk, als seine eigene Leistung

5