rade in dieser Stunde an, nach einer schweren Erkran­kung den ersten Brief nach Hause zu schreiben. Vielleicht aber war es nur eine Handverletzung, die ihm das Schrei­ben unmöglich machte. Ein Arzt, den Rada befragte, gab ihm die Auskunft, es gebe Arm- und Handverlet­zungen, die, ohne schwerer Natur zu sein, einem Men­schen monatelang das Hantieren mit Feder und Bleistift verbieten konnten. Auch diesen Trost, auch diese Hoff­nung wies Rada nicht von sich; er nahm sie gierig auf, er klammerte sich an sie. Aber er wußte, daß es ein fal­scher Trost, eine falsche Hoffnung war. Er wußte es, aber er gestand es sich nicht ein. Er hatte seit neunzehn Jahren nur für seinen Sohn gelebt, aber er hatte nicht gewußt, daß sein Leben zu Ende wäre, wenn das Leben seines Sohns zu Ende wäre.

War Marie stärker? Sie erfüllte ihre hausfraulichen Pflichten mit pedantischer Genauigkeit. Kein Stäubchen durfte sich auf den Möbeln ansetzen. Blank und spie­gelglatt war immer der Fußboden in den beiden Zim­mern und in der Küche. Die Kannen, Krüge und Eẞge­schirre blinkten und blitzten, als ob eine unermüdliche Hand unaufhörlich bemüht gewesen wäre, sie zu reini­gen. Marie schien aber keineswegs in übertriebenem Arbeitseifer Trost und Rettung zu suchen. Wenn Rada nach Hause kam, saß sie oft mit einem Buch oder mit der Zeitung in dem spiegelblanken Zimmer und las. Wenn er ihr erzählte, daß er in fremden Häusern ge­wesen sei und versucht habe, zu erfahren, ob jemand aus dem Dachauer Konzentrationslager geschrieben habe, machte sie eine wegwerfende Handbewegung und sagte: ,, Das hat keinen Sinn. Glaubst du, daß jemand jemals etwas über ihn schreiben dürfte? Das ist ganz ausge­schlossen." An einem Sonntagabend sagte sie: ,, Komm,

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