denn es war anzunehmen, daß die Deutschen sämtliche Tarife schon in den nächsten Tagen ändern würden. Dennoch versenkte er sich in seine Arbeit und rechnete angestrengt, ohne aufzublicken. Er bemühte sich, nicht zu hören, was die Kollegen redeten. Sie fürchteten, daß man sie aus dem Amt vertreiben und deutsche Beamte an ihre Stelle setzen werde. Merkwürdigerweise wurde er von dieser Furcht nicht angesteckt, obwohl er sich kein grausameres Schicksal als die Entlassung aus dem Amte vorstellen konnte; er meinte, ein Staatsbeamter, der erschlagen werde, sei besser daran als einer, der sein Amt verliere. Er hielt es für nahezu ausgeschlossen, daß er, Josef Rada, der erfahrenste und gewissenhafteste Tariffachmann der Abteilung, entlassen werden könnte. Dennoch war es ihm peinlich, daß die Kollegen die Möglichkeit der Entlassungen lang und breit erörterten. Er ärgerte sich, weil es ihm nicht gelang, nichts zu hören und seine volle Aufmerksamkeit der Arbeit zu schenken, mochte sie auch ihre Wichtigkeit und ihren Sinn verloren haben.
Nachdem die Kollegen verstummt waren, merkte er, daß seine Gedanken sich trotz der eingetretenen Stille unaufhörlich von der Arbeit entfernten. Er dachte an Jarmila. In der Mittagspause und in den unerträglich langsam vorrückenden Nachmittagsstunden wurde es ihm immer mehr zur Gewißheit, daß er sie und den von der Gestapo verfolgten Journalisten heute abend zu Hause vorfinden werde. Das Ende der Amtsstunden fürchtend und herbeisehnend, malte sich Rada aus, was seiner Familie drohte. Er war ein phantasieloser Mensch; trotzdem hörte er das Pochen der Gestapo an der Tür seiner Wohnung, das Gepolter der eindringenden Horde, das Geklirr der Handfesseln, die den Überfallenen angelegt wurden.
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