DAS WIRTSHAUS ZUR VERLORENEN ZEIT

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tretenen, gewalttätig auszubreiten? Das schrankenlose Selbst­bestimmungsrecht vorausgesetzt, kann sich daraus nur der Zu­stand eines evangelischen Dschungels ergeben, in dem der Tiger das Lamm nicht nur frißt, sondern sich dabei auch noch auf Wilsons Selbstbestimmung beruft. Woran auch die schönsten Ratsversammlungen im besteingerichteten und weitläufigsten Völkerbundpalast der Welt nichts werden ändern können. Sie werden als eine Versammlung nationaler Egoismen, die sich durch Addition keineswegs in Altruismus verwandeln lassen, doch immer nur so ausgehen wie der Familienrat in der franzö­ sischen Komödie, wo der alte Onkel, nachdem er die längste Zeit dem Gezänk der anderen geduldig zugehört hat, zuletzt entrüstet aufspringt und mit den Worten ,, Hier denkt jeder nur an sich, ich bin der einzige, der an mich denkt!" die Tür hinter sich zuschlägt. Der Denkfehler Wilsons hat darin be­standen, daß er ,, the world safe for democracy" machen wollte, bevor er noch ,, democracy safe for the world" hatte machen können, wie wir diesmal wohl werden tun müssen. Nur im Rahmen einer völkerrechtlich gesicherten, demokratischen equa­lity kann von einer kulturellen Selbstbestimmung der Nation die Rede sein. Das anschaulichste Vorbild hiefür bieten die Vereinigten Staaten . Niemand verlangt hier vom Kalifornier, daß er ein Neu- Engländer werde, aber es besteht auch weder in Massachusetts noch in Arizona der Wunsch, das Gebiet des anderen Bundesstaates zu erobern.

Das alte Österreich , das ,, Kaisertum" sowohl wie auch, seit 1867, die Doppelmonarchie, die nur noch die halbe war, beging denselben Fehler, aber auf eine mehr mittelalterliche Art. Es vermaß sich, zwanzig verschiedene Nationen, deren Angehörige im staatsbürgerlichen Sinne gleich rechtlos waren, gegen ihren Willen autokratisch zusammenhalten zu wollen. Das Ende war vorauszusehen.

Eine der diesem autokratischen Bestreben am abgeneigtesten