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MIT MIR IN AMERIKA

lange die Sonne scheint. Nachts aber, wenn die Smaragde und Rubine der Verkehrssignale die schnurgeraden Straßenzüge ins Unendliche begleiten; wenn die bunten Lichtreklamen über den Dächern ihre grotesken Anpreisungen in den Himmel brüllen und, am Times Square , das weiße Feuer einer in Fluß geratenen Milchstraße die jüngsten Neuigkeiten aufsprühen läßt und die ganze ungeheure Stadt, von oben betrachtet, sich in das Innere eines glühenden Hochofens verwandelt, durch ein Vergrößerungsglas gesehen, benimmt es einem völlig den Verstand. Die Villa Lumière hat man Paris in meinen jungen Tagen genannt. Aber der bunte Lichterjubel des nächtlichen New York verhält sich zu jenem eleganten Freudenschimmer, auch des Geistes, wie ein elektrisch beleuchtetes Schaufenster eines Juweliers zu einem einsamen Solitär.

Der Weg zu New York , wie zu jedem Phänomen der Zivili­sation, führt von außen nach innen. Das Visuelle ist rasch er­lebt und rasch vergessen. Das kulturelle Bild formt und ergänzt sich langsam, so wie sich ja auch die Kultur nur langsam formt und ergänzt. Ein Museum kann man genuẞsüchtig durchwan­dern, das Theater muß man an manchem Abend erleben, Zeitungen muß man täglich lesen und in Gesellschaft muß man immer gehen. Und all das braucht Zeit, viel Zeit, und wer hat sie von denjenigen, die gejagt herüberkamen?

Um mit dem Museum anzufangen, so scheiden sich hier die Wege der Flüchtlinge wie der Besucher beim ersten Schritt. Die einen gehen zuerst ins Naturhistorische Museum auf der West­seite, die anderen zuerst ins Metropolitan Museum an der Fifth Avenue . Was mich betrifft, so war mir Tintoretto immer wichti­ger als der Diplodoccus, und das großartigste Mammutskelett kann mir ein ägyptisches Königsgrab nicht ersetzen. Was nicht