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ANFANG VOM ENDE UND ENDE VOM ANFANG

Georg Brandes , nach dem Tode Anatole France's , noch führen konnte. Wir vergaßen, auf die Uhr zu schauen, und hätte nicht die Empfangsdame mit einer Schnitzler zugeraunten Be­merkung, der Professor hätte eine schlechte Nacht gehabt, zum Aufbruch gemahnt, so hätten wir wohl endlos fortgesprochen. Als schließlich Schnitzler sich mit Entschiedenheit erhob und Brandes' kostbaren persönlichen Erinnerungen an Andersen mit der Bemerkung ein Ende machte, daß er jetzt gehen müsse, sagte Brandes mit gespieltem, aber auch wirklichem Ärger: ,, Seht ihn nur an, den alten Pedanten" damit war der um zwanzig Jahre jüngere Schnitzler gemeint- ,, er leidet dar­unter, daß ich in Unterhosen dasitze." Das war tatsächlich der Fall; aber es hatte keinen von uns gestört, ja es ist sogar mög­lich, daß wir es gar nicht bemerkt hatten.

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Ich kam dann noch ein paarmal wieder, wozu mich der alte Rattenfänger beim Auseinandergehen ausdrücklich aufgefor­dert hatte, und brachte ihm auf seinen Wunsch auch die Buch­ausgabe meines Verslustspiels ,, Casanova in Wien ", in dem Moissi kurz zuvor am Deutschen Volkstheater unvergeßlich ge­glänzt hatte. Brandes las es über Nacht und schrieb mir einen reizenden Brief darüber. Einmal traf ich ihn allein und hatte wieder ein Zeit und Raum überschwebendes Gespräch mit ihm. Als ich mich nach zwei Stunden empfahl, nahm er meine Hand zwischen seine weichen, greisenhaften Patschhände und sagte mit einem in seinem pausbackigen uralten Babygesicht fast kindlich aufleuchtenden Lächeln: ,, Ich hab' Sie lieb!"- Er war schon im Abreisen, und wir wußten beide, daß wir einander nie mehr wiedersehen würden. Aber es war nicht nur darum, daß mich diese spontane Liebeserklärung rührte. Es war die schönste und schien mir die verpflichtendste, die mir je im Leben zuteil geworden war.

Brandes ging damals von Wien nach Salzburg , wo er sich länger als beabsichtigt aufhielt, weil ihm einige Damen des