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Ein vierschrötiger, sehr ernst und eher statuarisch aussehender Mann im Überrock, der unser Eintreten nicht zu beachten schien, saß fremd am Schreibtisch, zwischen dem Fenster und der Tür ins Nebenzimmer, aber näher als wir zu dieser Türe. Die dänische Sekretärin, die durch die Verbindungstür entschwunden war, kam nach einer Weile wieder zurück und beruhigte uns im Vorbeigehen: Es werde nicht mehr lange dauern. Dann flüsterte sie uns zu, der Herr beim Fenster wäre ein berühmter Wiener Schneider. Hierauf wandte sie sich an den noch immer denkmalhaft Dasitzenden und bedeutete ihm, ihr ins Nebenzimmer zu folgen, dessen Tür sie respektvoll vor ihm auftat. Kein Zweifel, er wurde als erster vorgelassen, was auch ganz in Ordnung war, da er früher gekommen war. Brandes war ein Demokrat, was in Wien begreiflicherweise auffiel.
Offenbar wurde drinnen Maß genommen, denn die Sekretärin kam wieder heraus und vertraute uns im Vorübergehen lächelnd an, der Herr Professor, so nannte sie Brandes, hätte gleich zwei neue Anzüge bei dem berühmten Wiener Schneider bestellt, was schmeichelhaft war und Schnitzler zu gefallen schien. ,, Allerhand für einen Zweiundachtzigjährigen“, sagte er anerkennend, als die blonde Sekretärin durch die entgegengesetzte Türe wieder abgegangen war.
Das Maẞnehmen dauerte lange, aber nach einiger Zeit erschien der Vierschrötige wieder, in sichtlich befriedigter Haltung, und ging gruẞlos an uns vorüber. Nun wurden wir ins Allerheiligste geleitet und von dem in einem Lehnstuhl sitzenden, nur mit einem halboffenen Schlafrock bekleideten Patriarchen des europäischen Schrifttums aufs liebenswürdigste begrüßt. Als sich dann auch noch Beer- Hofmann , bescheiden anklopfend, zu uns gesellte, kam ein Gespräch in Schwung, das mit solchem Feuer, Witz, Anstand und einer solchen weltweiten, Zeit und Raum überfliegenden, die Errungenschaft der Jahrtausende zusammenfassenden Bildung wahrscheinlich nur


