214 ANFANG VOM ENDE UND ENDE VOM ANFANG

tion und Rückschritt, war es einem Manne wie Brandes noch gestattet, das größte Wiener Versammlungslokal zum Schau- platz einer liberalen Kundgebung ersten Ranges zu machen. Der mehr als Achtzigjährige stand am Rednerpult, das seine breite Löwenstirn gewaltig überragte, und donnerte mit einer noch ungebrochenen Löwenstimme gegen den Unsinn der Friedensverträge und die Gefahr, die sie heraufbeschworen, und die der große Denker klar voraussah. Nachdem er unter aufbrausendem Beifall geschlossen hatte, nahm mich Arthur Schnitzler unterm Arm, um mich im Künstlerzimmer mit Bran- des bekanntzumachen.

Wir fanden den großen Mann, noch erhitzt von seiner großen Rede, im Kreise einiger Verehrer und mehrerer Ver- ehrerinnen, unter denen sich auch eine siebzehnjährige, bild- hübsche Zirkusdame befand, deren drollige Außerungen der Uralte mit urgroßväterlichem Behagen belachte; sie schien ihm augenblicklich wichtiger und interessanter als die gesamte euro- päische Politik und die amerikanische dazu. Komplimente, die man ihm machte, interessierten ihn nicht.

Tags darauf, mittags um halb zwölf, wie die Wiener Etikette vorschrieb, suchten Schnitzler und ich den Ruhm- gekrönten im Hotel Sacher auf, das, nebenbei bemerkt, eine Hochburg der Reaktion war.

Wir wurden vorgelassen, mußten uns aber eine Zeitlang in dem noch unaufgeräumten Schlafzimmer gedulden, in dem wir von der dänischen Sekretärin eingeladen wurden, Platz zu nehmen. Wir hatten Zeit, uns umzusehen, und taten es. Vor dem Bett standen einige aufgeschnallte Gepäckstücke, das Bett war aufgerissen, und auf dem Boden schleifte neben den weg- geworfenen Zeitungen ein bananenfarbenes Seidenpyjama. Ganz hübsche Dekoration für einen ersten Akt, sagte Schnitzler leise zu mir:Nur das Seidenpyjama würde die Zensur streichen.