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REPUBLIKBIS AUF WEITERES 209

der Kaiser nicht mehr in Österreich regierte, der, wie sie noch hervorwürgte, einen solchenSchwindel niegeduldet hätte.

Von jenen Lichtblicken, die, den Blick nach oben lenkend, das Grau des Alltags tröstlich überschimmerten, sind mir vor allem zwei in nachhaltiger Erinnerung geblieben. Beide gingen von der Literatur aus, der großen Liebe meines Lebens. Der eine war die Fete Moliere in Paris , der andere der Besuch des zweiundachtzigjährigen Georg Brandes in Wien .

Bei der Dreihundertjahrfeier für den heitersten aller großen Dichter, der so unsterblich ist wie das Lachen selbst, durfte ich zusammen mit Anton Wildgans , der mittlerweile auch zum Burgtheaterdirektor aufgerückt war, Österreich in Paris ver- treten.

Wildgans, der, wenngleich kein Nationalist, sehr national empfand, sprach kein Wort Französisch und war stolz darauf. Er hatte eine berühmt schöne Baßstimme, von der er den lautesten Gebrauch machte, während er, mit mir im vollbesetzten Bus zur österreichischen Gesandtschaft hinauffahrend, seiner Meinung über die soeben erfolgte Ruhrbesetzung ungezwun- gensten Ausdruck gab. Die wohlerzogenen Pariser Herren und Damen um uns herum verstanden zum Glück nicht, was er sagte, sonst hätten sie uns wahrscheinlich aus dem fahrenden Bus hinausgeworfen.

Auf der Gesandtschaft, wo wir für zehn Uhr angesagt waren, sahen wir uns mit einiger Verlegenheit empfangen. Unser Ge- sandter ließ uns zwar gleich vor, schien aber weder zu Moliere noch zur österreichischen Literatur irgendeine Beziehung zu haben und brachte, was ihm in dieser Richtung fehlte, durch ein ziemlich leeres Gestotter zum Ausdruck. Glücklicherweise hatte es in der Nacht etwas geschneit, was in Paris eine Seltenheit

14 Verlorene Zeit