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ANFANG VOM ENDE UND ENDE VOM ANFANG
mir eine Zeitlang jedes meiner kleinen Feuilletons mit zweihunderttausend Kronen vergütet, das waren tausend Kronen für die Zeile, was phantastisch klingt, doch waren es damals alles in allem kaum mehr als dreißig Dollar, deren Kaufkraft in Wien ungefähr fünfzig Dollar entsprach. Zur gleichen Zeit kostete ein Abendessen für zwei Personen in einem Gasthaus, in dem das Tischtuch nicht noch die Spuren von der vorangegangenen Mahlzeit aufwies, mindestens zehntausend Kronen. Einem solchen Schwindeltanz der Ziffern hielt die Anpassungsfähigkeit alter Leute nicht mehr stand, und den ganz Alten ersparten liebevolle Angehörige nach Möglichkeit den Schwindel. Ich kannte eine achtzigjährige Dame, die, von den zärtlichsten Kindern umgeben und behütet, in dem Glauben lange weiterlebte, daß die Preise sich nicht namhaft verändert hätten. Für sie kostete die Semmel noch immer zwei Kreuzer, was sie vor fünfzig Jahren gekostet hatte, und hieß noch immer die ,, Kaisersemmel", wie zur Zeit der Monarchie. Sogar wenn sie mit ihren Töchtern Einkäufe machte, verheimlichten ihr diese geschickt die wahren Preise, was um so leichter möglich war, als sie schwerhörig und halbblind war. Eines Tages aber geht sie, mit einer jener Selbständigkeitsanwandlungen, wie sie alte Leute kurz vor ihrem Tod manchmal befallen, allein aus, um eine Stopfnadel und ein Strähnchen Wolle in dem kleinen Laden an der Ecke einzukaufen, in dem sie schon als Schulkind ihren Bedarf an Wolle zu decken pflegte. ,, Macht alles zusammen zehntausend Kronen!" sagt die artige Verkäuferin, das Verlangte vor sie hinlegend. Die alte Dame läßt sich die Ziffer dreimal wiederholen, was in zunehmender Lautstärke geschieht. Beim drittenmal fällt sie in Ohnmacht und stirbt, während man sie nach Hause schafft. Es war nicht nur, weil eine Strähne Wolle jetzt plötzlich so viel kostete wie früher ein Haus. Es war auch nicht, weil ihre Töchter sie seit Jahren belogen hatten. Es war, weil ihr blitzartig klargeworden war, daß


